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Interview mit Marcel Siem: 540 Whats-App-Nachrichten aber keine Party

01. Mrz. 2023 von Tobias Hennig in Köln, Deutschland

Marcel Siem jubelt nach dem Gewinn der Indian Open, seinem fünften Sieg auf der European Tour bzw. DP World Tour. (Foto: Getty)

Marcel Siem jubelt nach dem Gewinn der Indian Open, seinem fünften Sieg auf der European Tour bzw. DP World Tour. (Foto: Getty)

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Zwei Tage nach seinem fünften Sieg auf der DP World Tour (ehemals European Tour) trifft Golf Post Marcel Siem zum Online-Gespräch. Mittlerweile ist der 42-Jährige wieder in seiner neuen Wahlheimat Mauritius angekommen und bester Laune. Kein Wunder, hat er doch gerade erst seinen fünften Sieg auf der European Tour bzw. DP World Tour eingefahren. Schaut man nur zwei Jahre zurück, spielte Siem auf der Challenge Tour und seine Zukunft als Profi war recht ungewiss. Nun ist er zurück im Kreis der Sieger und kann die Saison planen, wie es ihm passt. Ein Gespräch über das Auf und Ab, Nervosität bis kurz vorm Blackout und das Siegen - 19 Jahre nach dem ersten Erfolg auf der European Tour und neun Jahre nach dem letzten.

Marcel Siem im Interview nach seinem Sieg auf der DP World Tour

Golf Post: Marcel, wie geht es dir zwei Tage nach dem Sieg? Ist die Realität langsam angekommen im Kopf?

Marcel Siem: So richtig noch nicht. Ich habe bislang weder mit meinem Trainer geredet noch mit dem Rest meines Teams gefeiert. Eine richtige Party hatte ich auch nicht. Ich bin direkt in den Flieger, damit ich meine Familie sehen kann. Ich war sechs, sieben Wochen unterwegs und habe meine Frau und die Kinder gar nicht gesehen. Gestern waren wir ein bisschen im Pool und etwas Schönes essen und dann bin ich um 21:00 Uhr bei meinen Töchtern im Bett eingeschlafen. [lacht] Meine Frau hat mich dann nachts geweckt, damit ich ins Bett komme und ich wusste nicht, wo ich bin. Ich denke, wenn ich jetzt gleich mal an den Strand gehen kann, dass ich dann alles Revue passieren lassen kann.

Golf Post: Ich nehme an, dass dein Handy nach der Runde kurz vor der Explosion stand.

Marcel Siem: Wahnsinn! Aber ich muss ehrlich sagen, ich habe es habe es geschafft das abzuarbeiten. Ich habe 540 Whats-Apps gehabt. Im Flieger bin ich bis auf 200 runter und dann heute morgen den Rest. Ich wollte es so schnell wie möglich abarbeiten und mich auch bedanken bei den Leuten, weil es etwas Besonderes ist. Ich finde, ich bin es den Leuten auch schuldig. Es gibt viele Leute, die mir immer zur Seite gestanden haben und sich wirklich für mich freuen. Und ich will das auch einfach genießen und den Leuten auch das Gefühl geben, dass sie Teil davon sind.

Marcel Siem triumphiert auf de...

Marcel Siem: "... dann haben wir den Salat"

Golf Post: Bei deinem Schlag ins 18. Grün dürfte vielen Fans hingegen der Atem gestockt sein. Der Ball hat es nur knapp übers Wasser geschafft. Wie ging es dir dabei?

Marcel Siem: Es wirkt krasser, als es wirklich war. Ich habe den Ball getroffen und wusste, dass er rüber geht. Wäre er auf das obere Plateau gegangen, wäre es ein sensationeller Schuss gewesen. Es waren 71 Meter übers Wasser und 86 zur Fahne. Mein Lobwedge fliegt 95, das Futter [das Rough] war natürlich sehr fett. Ich habe die Kelle ein bisschen zugemacht, dann wäre das Ding vom Fairway ungefähr 100 Meter gegangen. Ich wusste, wenn ich das Gapwedge nehme, das 105 Meter fliegt, muss ich einen halben Schlag machen, das war auch keine Option. Es war das Lobwedge und alles oder nichts. Ich hätte auch noch einmal ablegen können, dann hätte ich aber auch das Up-and-Down machen müssen. Das wäre alles Humbug gewesen.

Ich habe eigentlich gedacht, dass Yannik [Paul] aufs Grün geht. Er ist eigentlich ein sehr aggressiver Spieler. Ich glaube, die Distanz hat einfach nicht gestimmt. Er war zwischen Eisen 2 und Holz 3, irgendetwas war da. Dann hat sein Caddy gesagt, 'leg doch ab'. Und dann war für mich klar, ich lege auch ab. Hätte er das Ding an den Stock genagelt, dann wäre ich auch dafür gegangen. Aber ich habe ihn gut getroffen, den dritten Schlag. Er war in der Luft und ich dachte eigentlich, der ist richtig gut und er ist irgendwie etwas früher in den Sinkflug gegangen. Ich hatte schon ein bisschen Angst davor, muss ich ehrlich zugeben.

Golf Post: Wie erging es dir auf dem letzten Grün. Ein Playoff war noch möglich und die Putts haben sich lange hingezogen. Kamen da schon die ersten Gedanken an den Sieg?

Marcel Siem: Wenn Joost [Luiten, schlussendlich Dritter] den Eagleputt rein macht, was ich ihm auch zugetraut habe, Yannik seinen Birdieputt rein macht und ich meinen daneben schiebe, dann haben wir den Salat. Als Joost seinen daneben gemacht hat, war klar, ich muss meinen jetzt rein machen. Worst Case war das Stechen gegen Yannik. Die Problematik war die Pitchmarke. Die war so groß. Ich habe sie einfach nicht richtig repariert bekommen.

Golf Post: Du hast eine gefühlte Ewigkeit in dem Grünen gestochert.

Marcel Siem: Ich habe jetzt viele Videos bekommen von Leuten, die gefragt haben, ob ich eine Macke habe. Die haben fast einen Herzinfarkt bekommen, weil ich so lange rumgemacht habe, bis ich den letzten Putt gemacht hatte. Aber da hing eine richtige Wurzel auf der Pitchmarke. Ich musste natürlich auch aufpassen. Wenn die nicht lose ist und ich ziehe die da raus, bekomme ich zwei Strafschläge und bin auf ein Mal Dritter. In so einem Stressmoment sind die Hände auch nicht ganz so locker. Dann hab ich das Ding endlich repariert bekommen und dann ging es nur darum, einen guten Rhythmus zu bekommen. Ich habe so lange an dieser Pitchmarke gearbeitet, dass ich mich am Ende nur auf dieses kleine Stück konzentriert habe. Der Ball musste genau darüber. Zack, drin war er. Mega!

Marcel Siem mit der Trophäe der Indian Open. (Foto: Getty)

Marcel Siem mit der Trophäe der Indian Open. (Foto: Getty)

Marcel Siem: "Ich habe Sternchen gesehen"

Golf Post: Bedenkt man deine Geschichte - erster Sieg vor 19 Jahren, der letzte vor neun, Verlust der Tourkarte vor zwei Jahren, Challenge Tour, Q-School, das Erlebnis bei der Open und nun wieder Tour-Sieger - schien mir deine Reaktion nach dem letzten Putt und auch das Siegerinterview sehr kontrolliert.

Marcel Siem: Ich bin, wie ich bin. Ich bin kein Schauspieler. Wenn man so einen Zehn-Meter-Putt locht zum Sieg, dann ist es etwas anderes. Dann wäre die Säge auch extrem rausgekommen. Aber bei so einem kurzen Putt zu schauspielern oder irgendwas, weil die Leute das erwarten, ist Schwachsinn. Das war für mich eine ganz natürliche Reaktion. Ich habe schon versucht nicht zu heulen, weil ich fand es teilweise ein bisschen affig, was ein paar Leute da in den letzten Jahren gemacht haben. So extrem abzugehen und rumzuheulen und was weiß ich nicht alles... Mir sind auch ein paar Tränen gekommen, aber ich wollte mich schon zusammenreißen. Ich bin so, wie ich bin. Und in dem Moment kamen diese Emotionen einfach nicht so raus.

Ich bin auf der Elf einmal durchgedreht, als ich den Birdieputt gelocht habe. Das war der richtige Moment. Das hat mich aber auf der 12 und 13 echt belastet. Ich war wirklich richtig platt. Wenn du bei 30 Grad einmal so laut wie du kannst schreist und die Säge ziehst... -ich war raus. Ich habe Sternchen gesehen. Dann habe ich zu mir gesagt: "Pass bloß auf, was du machst. Du bist keine 20 mehr. Jetzt wird erst mal nichts mehr zelebriert. Und wenn es hochkommt, dann versuche dich zu kontrollieren, sonst gewinnst du das Ding nicht." Vielleicht habe ich mich da selber gut runtergeholt. Ich habe auf den letzten Löchern viele Techniken meiner Mentaltrainer benutzt, weil ich extrem nervös war.

Golf Post: Gleich nach dem Sieg hast du ihn einen Erfolg des Teams genannt. Welchen Anteil hat dein Team an dem Erfolg?

Marcel Siem: Das ganze Team kam ja relativ schnell zusammen. Von Anfang an war sehr wichtig für mich, dass Dirk [Schimmel, Marcel Siems Manager] gesagt hat, er würde ganz gerne mal ein bisschen anders rangehen an meine Karriere. Er hat mir gezeigt, es würde nach meiner Karriere Möglichkeiten für mich geben. Das hat mir noch nie einer offen gelegt. So weit habe ich selber gar nicht gedacht. Das hat mir auch etwas Druck genommen. Ich konzentriere mich auf Golf und es wird schon etwas geben danach. Vielen Dank an die Jungs bei Ethos! [Name der Management-Agentur] Die haben auch sehr viel aufgeräumt in meinem ganzen Leben.

Paul Götze, MMA-Kämpfer, mein Fitness-Coach und einer der liebsten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe, steht an meiner Seite. Er ist auch viel herumgereist mit mir, hat sogar Caddy gemacht und ist ein mega Typ. Andre Kruse mein Coach auch. Ich habe einfach echt liebe Menschen um mich herum. Es sind alles Top-Leute in ihrem Job. Wenn du erfolgreich sein möchtest in deinem Sport oder im Business, dann ist es wichtig, dass die Leute um dich herum mindestens genauso gut sind wie du. Es macht sonst keinen Sinn. Und ich habe wirklich Top-Leute um mich herum. Anders würde es nicht gehen.

Marcel Siem: "Das berührt mich schon"

Golf Post: Es gab etliche Gratulationen von vielen anderen Spielerinnen und Spielern, Caddies, zahlreichen Kolleginnen und Kollegen. Zudem natürlich auch viele Kommentare von Leserinnen und Lesern deutscher Medien, die sich unheimlich gefreut haben. Bist du noch überrascht wie viele Leute Anteil nehmen?

Marcel Siem: Das hat mich tierisch gefreut, das muss ich ehrlich sagen. Ich habe ja immer noch den Bezug zu allen gehabt, obwohl die Tour schon sehr viel jünger geworden ist. Schon bei meinem 500. Turnier in Singapur habe ich sehr, sehr viel Liebe bekommen. Da habe ich schon gemerkt, 'du bist schon noch ein Name sozusagen'. Aber was jetzt gerade passiert, ist wirklich Wahnsinn. Das hätte ich mir nicht erträumt, dass es so krass abgeht. Egal wo ich jetzt schaue, ob bei Facebook, Instagram oder sonst wo, überall läuft Marcel Siem hoch und runter. Ich bekomme so viele Nachrichten, zum Beispiel auch von Thomas Müller [Fußballer des FC Bayern München]. Der ist so ein lieber Kerl. Auch von solchen Menschen Nachrichten zu bekommen ist super. Luke Donald hat mir geschrieben, Martin Kaymer hat geschrieben. Kiwi [Max Kieffer] hat mir geschrieben. Nicht einfach nur 'Glückwunsch', sondern mit wirklich netten Worten. Das berührt mich schon. Wie gesagt, ich bin noch nicht ganz zur Ruhe gekommen, um das alles zu begreifen. Aber es freut mich tierisch.

Golf Post: Hast du diese Aufmerksamkeit vermisst?

Marcel Siem: Schlimm finde ich es nicht. [lacht] Natürlich tut das gut. Ich habe mir oft selbst Probleme gemacht in meiner Karriere, aber auch oft auf die Mütze bekommen mit einigen Verletzungen, familiären Dingen und so weiter. Da tut das natürlich sehr, sehr gut.

Golf Post: Du kannst jetzt natürlich ganz anders planen als als zuletzt. Hast du dir schon ganz grob Gedanken darum gemacht, was jetzt vielleicht dazu kommt, was was wegfällt, was du jetzt anders angehen willst?

Marcel Siem: Ich habe wie gesagt bisher wenig Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Nächste Woche werde ich auf jeden Fall in Kenia spielen und Frau und Kinder mitnehmen. Seit fünf, sechs Jahren sind wir Paten von zwei Jahren verwaisten Elefanten, die ihre Eltern verloren haben. Ich habe Victoria und Carlotta [seinen Töchtern] jeweils einen Elefanten sozusagen geschenkt. Die werden wir dann jetzt auch besuchen können Und ich möchte auch meiner Frau und meinen Töchtern in Kenia mal zeigen, wie das ist, als Champion der letzten Woche anzureisen und was da für ein Hype ist. Da freue ich mich tierisch drauf.

Ich weiß jetzt, dass ich endlich wieder Wentworth spielen kann. Ich liebe diesen Golfplatz. Ich liebe diesen Golfplatz wirklich. Wirklich unglaublich, dass ich da wieder aufteen kann. Dass ich das Masters nie mitspielen konnte, treibt mir Tränen in die Augen, wenn ich das Turnier sehe. Wenn ich die Jungs in Wentworth spielen gesehen habe, war das ein Tritt in die untere Etage für mich, wenn ich selbst nicht mitspielen durfte.

Golf Post: Vielen Dank für das Gespräch, Marcel.

Das Interview führte Tobias Hennig

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