Panorama

Das andere Golf-Schottland – von Artisan Societies und „lokalen“ Links

02. Okt. 2020 von Michael F. Basche in Prestwick, Schottland

Wenn die Stadt den Platz umzingelt: Zu Hunderten verschmelzen in Schottland die "lokalen" Links mit den kleinen und großen Ortschaften entlang der Küste. Foto: Michael F. Basche

Wenn die Stadt den Platz umzingelt: Zu Hunderten verschmelzen in Schottland die "lokalen" Links mit den kleinen und großen Ortschaften entlang der Küste. Foto: Michael F. Basche

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Golf kann ganz schön gefährlich sein. Nein, nicht was Sie jetzt denken: Ball an den Kopf oder ähnliches… Auf den letzten Löchern des Prestwick St Nicholas Golf Club geht es eher um Glasbruchversicherungen und Kfz-Teilkasko – so eng, wie die Häuser der schottischen Kleinstadt mit dem großen Golf-Namen die rechte Seite des 17. Fairway flankieren, bloß durch ein paar Ginsterbüsche vom Golfgeschehen abgeschirmt; so dicht, wie der Parkplatz des Clubs an die 18 grenzt. Wieder rechts natürlich, ohne Bewuchsbarriere, dafür mit den Autos von Mens Captain und Ladies Captain, eine zusätzliche kleine Psycho-Aufgabe für den von knapp vier Stunden Linksgolf leicht ermatteten Gast.

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Schmaler Grat: Nur ein paar Ginsterhügel trennen in Prestwick St Nicholas das 17. Fairway von der Stadt. Foto: David Basche

Nirgendwo lässt sich die Golf-Genese unverfälschter erspüren als auf diesen, der Einfachheit halber hier mal so bezeichneten „lokalen Links“. Ihre Namen sind Legion, ihr Ruf ist wenig verbreitet, ihr Reiz spröde, ihr Charme unmanikürt: Prestwick St Nicholas und West Kilbride in Ayrshire im Westen beispielsweise oder an der Nordsee im Osten die Leven Links in Fife und Monifieth im Carnoustie Country, um nur ein Quartett zu nennen.

Zu Hunderten liegen sie im Dunstkreis der schottischen Küstenflecken: grüne Klackse im städtischen Steingrau, oft von der urbanen Entwicklung umzingelt, beinahe überwuchert – und eher namenlos im Vergleich zu Ruhm, Nimbus und Zugkraft des Old Course oder von Carnoustie und Royal Troon.

So spannend wie die Ikonen

Vielfach jedoch sind die „lokalen Links“ ebenso spektakulär und spannend wie die Ikonen des schottischen Golf-Wesens, das gerade durch die Scottish Open der European Tour wieder ins Rampenlicht gerückt wird. Zwar ist der Renaissance Club wie die nicht weit entfernten Kingsbarns und Dumbarnie ein „auf alt“ getrimmtes Ensemble von 2008, aber die Adresse North Berwick gehört zu den traditionsreichsten im Golf-Geburtsland.

Genau auf jenen kommunalen Brachen vor den Toren der Städte gedieh das Spiel zur heutigen Blüte. Sie taugten wegen ihres sandigen Untergrunds und den widrigen maritimen Einflüssen nicht als Ackerland, waren Tummelplätze für Schafe, Kaninchen und die kleinen Leute, wurden zu Spielwiesen für Herren von Stand mit gesichertem Einkommen und Tagesfreizeit, die sich das neue, im Zuge des Wollhandels mit den Niederlanden importierte „Spel metten Kolven“ zu eigen machten.

Spieltrieb, Trinkspaß und Wettleidenschaft

Der Freizeitspaß avancierte schnell zum Boom, eine erfreuliche Ergänzung snobistischer Amüsements wie Box- und Hahnenkämpfe oder Pferde- und Hunderennen, zudem eine willkommene, weil unblutige Variante des persönlich ausgetragenen Ehrenhändels, umgangssprachlich Duell genannt. Kräftig zocken konnte man obendrein. Schnell schlossen sich die Gentlemen zu Golf Societies zusammen: Herrenzirkel, vereint in Spieltrieb, Trinkspaß und Wettleidenschaft. Wen das an grassierende Golf-Klischees erinnert: stimmt!

Übrigens: Das weibliche Großbürgertum schwang ebenso die Schläger; zumindest wurden Frauen erwähnt, wenn die Kirche den heiligen, spielfreien Sonntag anmahnte. Sie nutzten die Links gleichermaßen, hatten ihre eigenen Golf-Gesellschaften. Das Spiel selbst war ihnen nie verwehrt, wiewohl das im Zuge der Debatten um Golf-Gleichberechtigung gern suggeriert wird.

Der Old Course und die Golf-Clubs

An den formalen Strukturen hat sich bis heute kaum etwas geändert, abgesehen von der Öffnung ehedem reiner Männerbastionen für weibliche Mitglieder. Nach wie vor teilen sich lokale Golf Societies zu festgelegten Nutzungszeiten die zum Parcours gewordene Allmende; allein in St. Andrews genießt fast ein Dutzend Clubs das Privileg, auf dem Old Course spielen zu dürfen, darunter zum Beispiel der St Regulus Ladies Golf Club.

Wie auf der Straße „The Links“ im „Home of Golf“ scharen sich auch anderswo die diversen Clubhäuser um 1. Abschlag und 18. Grün. Und den Greenfee-Spieler empfängt nicht selten ein Schild mit dem Hinweis, welcher Club heute Gastgeber ist und damit zudem sein Vereinsheim für den Publikumsverkehr geöffnet hat. Es ist gelebte Tradition, die dem Gast bei angemessener Attitüde ein freundliches Willkommen gewährt.

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Oft so spannend wie die Ikonen: Juwelen wie West Kilbride in Ayrshire glänzen nahezu im Verborgenen. Foto: Michael F. Basche

Einfaches Volk, neumodischer Firlefanz

Zurück in die Verganhenheit: Das einfache Volk freilich hatte damals überhaupt keine Zeit für neumodischen Firlefanz und Müßiggang, im Schottland des 18. und 19. Jahrhunderts gab‘s weder die 5-Tage- noch eine 40-oder-weniger-Stunden-Woche. Geschuftet wurde von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und samstags gleichermaßen, der Sonntag war dem Kirchgang sowie Betstunden im Kreis der Familie vorbehalten. Allenfalls reichte es in der kargen Freizeit dafür, Steine oder Holzkugeln mit Stöcken in den Gassen, über den Kirchhof oder halt durchs Gelände zu treiben.

Geld mit Golf: Handwerker sattelten um

Sowieso war dieses „hippe“ Spiel ein kostspieliges Vergnügen, eigens gefertigte Schläger und Bälle verschlangen den Lohn mehrerer Wochen, die mühsam per Handarbeit mit kochendheiß gewässerten Federn gestopfte Hülle namens Featherie kostete pro Stück umgerechnet das, was heute für ein Sleeve Titleist Pro V1 berappt werden müssen, hielt jedoch allenfalls drei Dutzend Hieben mit dem groben Schlagzeug aus.

So was konnte sich die Handwerkerklasse – Zimmerleute, Leinenweber, Landarbeiter – vor dem Aufkommen der preisgünstigeren, mechanisch produzierbaren Guttapercha-Murmeln nicht leisten. Allerdings ließ sich Geld damit verdienen. Folglich sattelte man um, zog eine Schläger- und Ballproduktion auf, ebnete den Herren auf der Wiese den Weg, pflegte ihre Spielbahnen, trug ihnen die Ausrüstung hinterher.

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"Out & In" bei Sonnenuntergang: Die Schlussstrecke auf den Leven Links führt fast in die Stadt hinein. Foto: David Basche

Ausgeschlossen von der Gesellschaft

Wer so nah dran ist am Wesen eines Spiels, der entwickelt beinahe naturgemäß enormes Verständnis und ausgeprägte Fertigkeit. Bald spielten die Arbeitsbienen besser als ihre Drohnen. Die Rede ist von Leuten wie Allan Robertson und Old Tom Morris, dem „Gottvater des Golfsports“. Sie waren die ersten Professionals, machten eine Menge Kohle, erfreuten sich als Wettspiel-Partner großer Beliebtheit, waren als „Keeper of the Links“ durchaus respektiert und angesehen.

Parias blieben sie in der von Standesdünkel geprägten Klassengesellschaft dennoch, ausgeschlossen von den Gesellschaften und Geselligkeiten der Gentlemen, abgeschoben in minderprivilegierte Arbeiterabteilungen des Clublebens.

Greenkeeping gegen Greenfee

Da war es nur folgerichtig, sich mit Seinesgleichen zu konsolidieren. So entstanden Ende der 1880er-Jahre die ersten „Artisan Clubs“, Handwerker-Vereine schlichtweg. Das Pfund, mit dem sie wucherten, war ihre Dienstbarkeit: Sie hielten die Plätze in Schuss, im Gegenzug durften sie zu bestimmten Zeiten spielen. Greenkeeping gegen Greenfee sozusagen.

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Zimmer mit Aussicht: Der Blick aus dem Old Manor Hotel in Lundin fällt direkt auf die famosen Links. Foto: David Basche

Das Arrangement funktioniert bis heute. In Royal Birkdale beispielsweise, wo die „Birkdale Artisans“ – Schreiner, Klempner, Bäcker, Metzger, Elektriker und Briefträger – regelmäßig ausrücken, um das Greenkeeping-Team beim Bunkerharken oder Ausbessern von Divots zu unterstützen. Ihr Vereinsheim ist der liebevoll renovierte einstige Pro-Shop zwischen dem vierten Grün und dem fünften Abschlag; während der Open Championship 2008 schauten sogar Phil Mickelson und Butch Harmon auf einen Besuch an der Bar vorbei.

McDowell und der Arbeiterverein

Knapp 80 Artisan Clubs existieren aktuell in Großbritannien, längst funktionieren nicht mehr alle nach dem Geschäftsmodell der Kollegen aus Birkdale. Andererseits gilt es durchaus als schick und bodenständig, statt dem renommierten Aushängeschild einem lokalen „Underdog“  anzugehören.

Auch unter Professionals wie Graeme McDowell. Der Nordire ist in seiner Heimat Portrush nach wie vor Mitglied im 1947 eröffneten Rathmore GC und auf dessen Valley Course; „G-Mac“ nennt ihn den „Arbeiter-Club“ und schrieb 2019 anlässlich der Open in einem Blogbeitrag für die European Tour über seine ersten Gehversuche in den 1980er-Jahren: „Als Familie war uns Royal Portrush mit dem Dunluce Links einfach zu teuer. Wenn es diese preiswerte Möglichkeit nicht gegeben hätte, würde ich heute nicht Golf spielen.“

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