Golf Post Premium US Open

US-Open-Schauplatz Winged Foot: „Bauen Sie uns einen Kurs für Männer“

16. Sep. 2020 von Michael F. Basche in Mamaroneck, USA - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Die US Open 2020 findet im Winged Foot Golf Club statt. (Foto: Getty)

Die US Open 2020 findet im Winged Foot Golf Club statt. (Foto: Getty)

Wenn Pebble Beach spektakulär ist, Shinnecock Hills majestätisch, Oakmont mörderisch und Pinehurst knifflig, dann ist Winged Foot wohl – tückisch. Damit passt der Schauplatz der US Open 2020 haargenau in die Rota, die der amerikanische Golfverband USGA in Anlehnung an die Open Championship auch für seine Offene Amerikanische Meisterschaft ins Auge fasst. Die vier erstgenannten Kurse sind dafür bereits gesetzt, und alle Golfwelt erwartet, dass nur noch diese durch Corona verschobene 120. US Open vorbei sein muss, damit auch die Majorwiese in Mamaroneck im Bundesstaat New York auf die Liste gehoben wird.

Winged Foot – ein Superlativ in jeder Hinsicht

Alles andere wäre ein grobes Versäumnis. Winged Foot ist Superlativ in jeder Hinsicht, strotzend vor Historie und golferischem Drama – so wie das mächtige, in grobem Stein gemauert Clubhaus vollgepackt ist mit Artefakten, Antiquitäten und Memorabilia sowieso. Manche nennen die Anlage gar ein Monument; sie bringt sogar gestandene Beobachter der Szene wie „Golf.com“-Schreiber wie Michael Bamberger dazu, sich in Elogen zu verlieren: „Wenn dich Winged Foot nicht in Aufregung versetzt und beeindruckt, sobald du das erste Mal durchs Tor fährst, dann solltest du echt deinen Pulsschlag prüfen. Im Westchester County verstehen die Gesetzeshüter keinen Spaß mit Leuten, die leblos Auto fahren.“

Fünf US Open und nur ein Sieger unter Par

Wie auch immer, Winged Foot hat jedenfalls alles, was den USGA-Oberen von jeher vorschwebt, um ihr Major als härtesten Test im Golf zu inszenieren. Fünf US Open fanden bislang auf dem West Course der Anlage im Westchester County statt, und nur einmal ging der Gewinner mit einer Ergebnis unter Par vom 72. Grün. 1984 war das, als Fuzzy Zoeller nach vier Tagen vier Schläge unter Par war und im Play-off noch Greg Norman bezwingen musste.

Ansonsten ist Winged Foot bekannt für wahre „Golf-Massaker“, wie in den englischsprachigen Medien gern geschlagzeilt wird: Bobby Jones gewann 1929 mit +4, Billy Casper 1959 mit +2. 1974 triumphierte Hale Irwin mit sieben Schlägen über Par und 2006 siegte Geoff Ogilvy mit „fünf über“ – es war das Jahr, in dem Phil Mickelson den ersehnten US-Open-Sieg mit einem Doppelbogey auf dem Schlussloch vergeigte. Damals gab es während des gesamten Turniers nur zwölf Runden unter Par, und keine niedriger als -2. Der Schlagdurchschnitt der Weltelite auf dem Par-70-Layout lag bei 74,99.

Der Schein der Unschuld trügt

Dabei sieht der Platz von weitem ganz unschuldig aus, er hat keine Wasserhindernisse, sondern lediglich ein paar Bäche, keine augenfälligen landschaftlichen Merkmale, ist eigentlich eine flache Angelegenheit. Aber der Teufel steckt halt im Detail …

Bevor indes die Frage angegangen werden soll, was Winged Foots Westplatz so schwierig macht, ist erstmal die Herkunft des Namens zu klären. Wie so oft bei Privatplätzen suchten 1921 einige betuchte Herren von der US-Ostküste ein golferisches Refugium. Sie engagierten den ebenso begnadeten wie exzentrischen Architekten Albert Warren Tillinghast, ein Star-Designer seiner Zeit, und gaben ihm als Mantra bloß mit: „Bauen Sie einen Kurs für gestandene Männer!“

Das Meisterstück von „Tillie the Terror“ Tillinghast

„Tillie the Terror“ tat, wie ihm geheißen war, und schuf 1923 mit dem West Course prompt sein Meisterstück. Zudem mit dem kürzeren East Course gleich einen zweiten Championship-Parcours, der bereits Schauplatz zweier US Women‘s Open und 1980 der Premiere der US Senior Open war. Zurecht wohl wird Winged Foot daher als beste 36-Loch-Anlage der Welt angesehen.

Und weil die Gründungsmitglieder allesamt dem New York Athletic Club angehörten, verpassten sie ihrem Golfclub das Signum des mythologischen griechischen Götterboten Hermes, der dank seiner geflügelten Sandalen besonders hurtig unterwegs war. Auch er allerdings wäre gut beraten, dem sumpfigen Rough von Winged Foot fern zu bleiben – womit wir bei den Herausforderungen des West Course angelangt sind.

Winged Foots Waffen – das Rough:

Von Lee Trevino ist folgender Spruch überliefert: „Wenn dein Caddie das Bag im Rough ablegt, um nach dem Ball zu suchen, kann es dir passieren, dass du Ball und Bag verlierst – manchmal sogar den Caddie.“ Das erklärt schon alles …


Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Spotters will play a crucial role this week to deal with the deep, thick rough at Winged Foot... ?

Ein Beitrag geteilt von GOLF.com // GOLF Magazine (@golf_com) am

Winged Foots Waffen – die Grüns:

Jack Nicklaus nannte sie mal „die absolut schwierigsten, auf denen ich je versucht habe, einen Ball ins Loch zu bringen.“ Colin Montgomerie, der 2006 gleichfalls durch ein Doppel-Bogey verlor und selten näher an einem Major-Erfolg war, beschrieb sie als „hangabwärts so schnell wie in Augusta, freilich mit wesentlich mehr Gefälle und Neigungen“. Wieviel mehr? So viel mehr, dass man von den Fairways den Boden der Locheinsätze sehen könne, ist als Flachs eines Putting-Experten der PGA Tour überliefert. Eigentlich jedoch sagt ein Video mehr als tausend Worte:


Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

??First practice round @usopengolf Not all the putts are straight at Winged?. . No todos los putts son rectos en Winged Foot...

Ein Beitrag geteilt von Adrian Otaegui (@adrianotaegui) am

Um die Erklärung kurz und bündig zu halten: Tillinghast hat schlichtweg 18 extrem anspruchsvolle Löcher gebaut. Mit Doglegs, die einen zentimetergenauen ersten Ball verlangen, um die herausfordernden Grünkomplexe mit den ungewöhnlich geformten, fast eckigen Puttflächen aus dem richtigen Winkel anspielen zu können – getreu seiner Maxime:  „Ein exakter Schlag auf ein eng bewachtes Grün ist der beste Test für jeden Golfer.“

Und Gil Hanse, der Architekt des Olympia-Platzes in Rio de Janeiro und von Schmuckstücken wie Castle Stuart in Schottland, hat bei der Überarbeitung des West Course 2015 nur wieder in Ordnung gebracht, was von „Tillies“ Kreation im Lauf der Zeit verloren gegangen ist, beispielsweise die ursprünglichen Konturen der Grüns. Im Clubhaus kursiert der Spruch, dass sich die Gründungsmitglieder auch 100 Jahre später noch wie zuhause fühlen würden.

„Quintessenz eines US-Open-Platzes“

„Der Platz fängt schon am ersten Loch taff an und wird niemals einfacher“, hat Nicklaus zu Protokoll gegeben. „Deswegen ist Winged Foot ein großartiger Golfplatz: Er lässt dich nirgendwo mit Fehlern ungeschoren davon kommen.“ Des Lobes voll ist auch USGA-Chef Mike Davis: „Dieser Kurs ist ein Glanzstück des Designs und die Quintessenz eines US-Open-Platzes. Gil Hanse hat all die wunderbaren Attribute wieder aufpoliert. Da mussten wir nur noch sehr wenig tun.“

Gut so, die Verschlimmbesserungen der USGA sind hinlänglich bekannt; Davis und Co. verhunzten in den vergangenen Jahren große Plätze wie Chambers Bay (2015), Erin Hills (2017) und Shinnecock (Hills) förmlich in dem Bemühen, das Par gegen die moderne Spieler- und Materialgeneration zu verteidigen. Das dürfte in den kommenden vier Tagen Winged Foot aus eigener Kraft erledigen.

Siegerscore bei „8 über“?

Winget Foots „Director of Courses“ Steve Rabideau hatte durch Corona hatte er drei zusätzliche Monate Zeit, sein Ensemble auf „Killer“ zu trimmen, wie der legendäre US-Golfjournalist Dan Jenkins Winged Foots Tücken einst getauft hatte. Und so fragt sich nicht nur Jon Rahm„wie wir hier unter Par bleiben sollen?“. Gar nicht: Rabideau hat alle Weichen entsprechend gestellt und erwartet einen Siegerscore von „8 über“.

 

Anzeigen wie diese tragen dazu bei, dass Golf Post kostenlos bleibt. Anzeigen entfernen
Anzeigen wie diese tragen dazu bei, dass Golf Post kostenlos bleibt. Anzeigen entfernen

Feedback