Profisport Herren

Bislang war LIV Golf vor allem laut – 2023 wird die Saudi-Sause zur Liga

01. Nov. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

Die erste Saison von LIV Golf ist in den Büchern. Ein Rückblick lohnt sich allemal. (Foto: Getty)

Die erste Saison von LIV Golf ist in den Büchern. Ein Rückblick lohnt sich allemal. (Foto: Getty)

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Nach der Saison ist vor der Saison: Die erste Spielzeit der LIV Golf Invitational Series ist in den Büchern. Das Fazit fällt naturgemäß ambivalent aus. Viel Getöse, noch mehr Geld, kaum sportliche Spannung, aber immerhin ein paar Play-offs – und am Ende sackte Dustin Johnson insgesamt 35,6 Millionen Dollar ein, während Pat Perez mit acht Millionen Dollar in knapp neun Monaten mehr verdient hat als seit 2017 auf der PGA Tour zusammen. „Greg Norman hat es geschafft“, tirilierte darob das mediale LIV-Sprachrohr „Asian Golf“. „Mit Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Siegeswillen hat die australische Golflegende das von Saudi-Arabien unterstützte Unternehmen LIV Golf zu einem äußerst erfolgreichen ersten Jahr geführt.“

„Erschütterung im Herren-Profigolf“

Zumindest könne der Konkurrenz-Circuit „für sich in Anspruch nehmen, eine Erschütterung im Herren-Profigolf verursacht zu haben, wie sie seit der Entstehung der PGA Tour in den späten 1960er Jahren nicht mehr zu verspüren war“, resümiert etwas nüchterner „The New York Times“: „Mit einem scheinbar grenzenlosen Scheckbuch, mit fast unkontrollierter Unverfrorenheit und Selbstbewusstsein und mit dem politischen Rückhalt eines ehemaligen US-Präsidenten, der über Saudi-Arabiens Menschenrechtsbilanz hinweggesehen hat.“

Das fasst die Aspekte der Erschütterung ziemlich gut zusammen – fernab von Normans kruden Bemerkungen über Mord und Missstände, die „The Great White Shark“ euphemistisch als simple korrigierbare Fehler abgetan hat. Und unbenommen der Rolle von Donald Trump in dem ganzen Spiel, die eh einer besonderen Betrachtung bedarf.

Andere Form von Golf-Entertainment

Freilich, für so eine Bilanz braucht es immer zwei Seiten, die mittun. Auf der einen das Regime aus Riad, das mittels seines Handlangers Norman – der „flachsblonden Handpuppe des Kronprinzen Mohammed bin Salman“, wie „Golfweek“ gern schreibt – gleich einen ganzen Sport zu kaufen trachtet; einfach, weil man’s kann und das Haus Saud seine Monarchie gern auf allen Ebenen als Global Player etablieren will. Auf der anderen Seite die Spieler, denen Moneten vor Moral und Meriten gehen. Es gab – erwartbar – Herren ohne Haltung, indes auch überraschende Überläufer – ein jeder hat halt seinen Preis. Sei’s drum.

 

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Auf der sportiven Ebene gilt festzuhalten: LIV Golf will die Profiszene bereichern und den Golffans eine andere Form von Entertainment bieten. 54-Loch-Events mit Shotgun-Start und ohne Cut werden umrahmt von Beats und Bässen, von musikalischer Dauerberieselung und Live-Performances von Snoop Dogg, Nelly oder The Chainsmokers, von allerlei Unterhaltungsangeboten im Fan-Village. Pomp, Putt & Circumstances halt. Oder um den offiziellen LIV-Claim zu zitieren: „Golf, but Louder“.

LIV Golf: 784 Millionen Dollar Anlaufkosten – ohne Gagen

784 Millionen Dollar haben sich die Saudis ihre Sause heuer kosten lassen. Und das meint lediglich die operativen Kosten für Personal, Platzmieten, Turnier-Infrastruktur oder Social-Media-Aktivitäten und die Produktion der noch spärlichen Bewegtbilder, nicht zuletzt die Darbietungs-Dotierungen in Höhe von 255 Millionen Dollar. Die anteiligen Garantiegagen für das mit Mehrjahresverträgen verpflichtete Staraufgebot, für „D.J.“ und Co., kommen extra.


„Für ein Startup, das einen Bereich umwälzen soll, ist erstmal Kapitaleinsatz erforderlich. Und es wird sicher auch Kapital verbrannt. Es braucht eben eine gewisse Hartnäckigkeit und finanzielles Stehvermögen, um die ersten Jahre zu überstehen. Das ist es, was wir sind; das ist es, was wir tun.“

Atul Khosla, Chief Operating Officer (COO) von LIV Golf


Auch wenn diese Summe zu Zeiten einer weltweiten Lebenshaltungskrise erst recht obszön scheint: Für Bin Salman sind das Peanuts, sein Dukatenesel Public Investment Fund (PIF) hat unlängst 7,6 Milliarden Dollar in Beteiligungen an Amazon, Microsoft oder Zoom investiert, der Staatsfonds hat ohnehin in allem seine Finger, was nach einem guten Geschäft riecht. Ob Golf ebenso eins wird, wird sich zeigen. Für den Sport gilt gleichermaßen: Auf Dauer muss er sich rentieren. Spätesten 2025 soll sich die LIV-Liga von allein tragen, dann läuft die PIF-Alimentierung aus.

Cantlay und Schauffele auf der „Einkaufsliste“

Zuerst aber wird das LIV-Preisgeld nächstes Jahr auf insgesamt 405 Millionen Dollar aufgestockt. Die Teamstruktur wird gefestigt und unveränderlich, pro Mannschaft kommt ein fünftes (Reserve-)Mitglied hinzu. Das 60er-Feld soll „bis zum neuen Jahr feststehen“, sagt Atul Khosla, der bei LIV Golf die operative Leitung hat; auf der „Einkaufsliste“ stehen vor allem vier Namen: Patrick Cantlay und Xander Schauffele, aktuell die Nummer 4 und Nummer 6 der Welt, dazu Mito Pereira und Thomas Pieters, wiewohl Letzterer unbedingt ins europäische Ryder-Cup-Team für Rom will.

Transfer-Markt in der Off-Season, Teams eigenständig

Zudem wird in der Off-Season ein Transfer-Zeitraum für Spieler-Zukäufe, -Wechsel oder -Abschiebungen und für die Verpflichtung von vertraglich ungebundenen, sogenannten „Free-Agency“-Spielern eingerichtet. Sprich: Wer keine Punkte liefert, der fliegt. Die Saison dürfte im Februar beginnen und mit den schon verkündeten 14 Events – unter anderem im spanischen Nobelclub Valderrama – vermutlich nur noch bis September laufen, um vor allem der National Football League (NFL) aus dem Weg zu gehen, die jede Menge Fan-Interesse bindet.

Franchise-System à la NFL

Apropos: Wer sich ein wenig in den Strukturen des US-Mannschaftssports auskennt, der im professionellen American Football zumal, erkennt, wo der Weg der LIV-Liga hinführen soll. Ins Franchise-System à la NFL. Die Teams werden schon im kommenden Jahr zu eigenständigen Unternehmungen; die Top-Spieler halten jeweils 25 Prozent der Anteile und müssen mittelfristig sämtliche Kosten der Mannschaft allein tragen. Im Gegenzug dürfen sie Sponsoren und Merchandising-Einnahmen generieren, eigene Ausrüsterverträge etc. abschließen. 75 Prozent an jedem Team verbleiben bei LIV Golf selbst, das Team-Eigner gewinnen und seine Anteile und Rechte sonst wie vermarkten will.

Abstieg und Aufstieg sind Teil des Modells

„Wir versuchen, für Golf eine Liga wie die NFL oder die National Basketball League zu erschaffen“, verdeutlicht Bubba Watson, der derzeit noch durch eine Knieverletzung zum Zuschauen gezwungene Kapitän der „Niblicks, der für seine Truppe sogar einen Team-Präsidenten, einen Manager und Orga-Kräfte installieren will. Und, so der zweifache Masters-Sieger: „Einige LIV-Golfer werden möglicherweise früher aus dem Kader gestrichen, als ihnen lieb ist. Abstieg und Aufstieg sind Teil des Franchise-Modells.“ Will heißen, weniger bekannte Spieler, die sich in dieser Saison schwer getan haben, sind nächstes Jahr möglicherweise nicht mehr dabei.

Asian und MENA Tour als Zweite bzw. Quali-Ligen

Ein gutes Beispiel ist der einstige Top-Amateur Andy Ogletree, der am Auftakt in London teilnahm, mit 24 über Par Letzter wurde, trotzdem 120.000 Dollar einstrich und seither auf der Asian Tour „vor sich hin vegetiert“ – sportlich gesehen. Pikanter Fakt: Als LIV-Loser gelten längst jene 21 Spieler, die es in den sieben Individual-Events nicht über die Marke von einer Million Preisgeld geschafft haben und auch nicht Pat Perez heißen, also schwierig vermarktbare Nobodies sind. Sie alle müssen nächstes Jahr um den Platz am reich gefüllten Dollar-Trog bangen. Laut COO Khosla sollen Asian und MENA Tour mittelfristig als eine Art Zweite Liga und als Qualifikationsebene fungieren.


„Ich bin ziemlich überrascht, wie weit die LIV Golf International Series in den vergangenen Monaten gekommen ist, nachdem es anfangs eine Menge Ungewissheit gab. Wenn man sich die Liga jetzt ansieht, hat man eine Menge wirklich starker Spieler und eine Menge wirklich starker Charaktere. Ob man sie nun liebt oder hasst, es gibt hier eine Menge Jungs, die unsere Leute sehen wollen.“

Phil Mickelson


Stichwort „vermarktbar“: Bryson DeChambeau hat sich genau deswegen Anirban Lahiri in seine „Crushers“-Crew geholt. Der „Mad Scientist“ ist bekanntlich ein außerordentlich heller und kreativer Kopf, plant Nachwuchs-Golfakademien, Fitness-Einrichtung und Sportanlagen, womöglich den eigenen Golfplatz und will zu einem echten Erfolgs-Eigner avancieren. So, wie beispielsweise Jerry Jones im American Football, dessen Dallas Cowboys das wertvollste Sportteam der Welt sind.

DeChambeau schielt auf das Golfpotenzial in Indien

Mit der Verpflichtung von Lahiri verspricht sich DeChambeau die Erschließung des Subkontinents Indien. „Man holt Spieler nicht nur als sportliche Verstärkung, sondern auch, um ihre Bekanntheit für wirtschaftliche Zwecke zu nutzen“, doziert „BDC“. „Anirban ist in Indien eine echte Größe. Mit ihm wollen wir dazu beitragen, dort den Golfsport zu fördern, indem wir Driving Ranges und vielleicht sogar Plätze bauen.“ Da hat einer das Franchise-Konzept tatsächlich verstanden; und plötzlich ist das Narrativ von „Growing the Game“ kein leeres Alibi-Gefasel mehr.

Also, Namen sind da, Geld ist da, ein Businesskonzept ist da. Bloß an der breiten Öffentlichkeit fehlt es noch. Deswegen hat Rory McIlroy einen Punkt, wenn er sagt: „Man muss bedenken, dass Golf ein Nischensport ist. Erstmal bekommt man für sein Geld bloß vier Golfer. Alles hängt mit der Wirtschaftlichkeit dieser Liga zusammen, die momentan nicht gegeben ist.“

Fehlende TV-Partner als größte Sorge

TV-Übertragungen und Streaming-Foren sowie das daraus resultierende Sponsoren- und mithin Fan-Interesse sind nun mal die Hauptfaktoren für die Prosperität einer Liga. In alldem ist LIV Golf derzeit eher schwach auf der Brust. Die Zuschauerzahlen auf YouTube, bei DAZN und auf der LIV-Webseite sind vergleichsweise bescheiden. Lediglich 72.000 Fans sahen weltweit via YouTube zu, als „Cleeks-Riegenführer“ Dustin Johnson in Doral den kurzen Putt lochte, der seiner Truppe endgültig den Gewinn der Team-Wertung bescherte.

Der fehlende TV-Partner ist denn auch die größte Sorge, die das LIV-Kollektiv umtreibt. Weil die Arrivierten unter den Aktiven Probleme mit ihren persönlichen und nun seit Monaten kaum noch sichtbaren Werbepartnern und Ausrüstern fürchten.

Golf ist fürs TV die teuerste aller Sportarten

Sich bei einem Sender einzukaufen, funktioniert offenbar nicht. Das amerikanische TV-Establishment, so überhaupt golfaffin, hat längst abgewinkt; angeblich bemüht sich LIV Golf noch beim Trump-Haussender Fox, was aber abgestritten wird. Sowieso: Der Preis für Golf-Übertragungen wird aktuell mit 900.000 Dollar pro Sendestunde gehandhabt, und darin ist der enorme, nirgendwo sonst im Sport so hohe Produktionsaufwand mit jeder Menge Kameras und Kabeln entlang der 18-Loch-Strecke gar nicht eingerechnet.

„Nehmen die hoch bezahlten LIV’ler Golf noch ernst?“

Zu guter Letzt sind da die Spieler selbst. Für eine breite Akzeptanz zumindest des sportlichen Geschehens – wie wär’s übrigens mit mehr Matchplay? – ist seriöser Wetteifer unabdingbar. Diesen Beweis sind die LIV’ler in der Außenwahrnehmung vielfach schuldig geblieben, wenngleich Matt Jones behauptet: „Viele Jungs hier arbeiten härter an sich als auf der PGA Tour. Weil mehr Zeit für Fitness da ist. Aber ebenso, weil es viel zu gewinnen gibt und überdies Existenzen bei denjenigen auf dem Spiel stehen, die nur Einjahresverträge haben.“


„Die Golfwelt übertreibt es mit dieser LIV-Sache. Das ist keine Bedrohung für die PGA Tour, sondern eine für die Karrieren der Spieler, die gewechselt sind. Es ist fast so, als würden sie sich vom Golfsport zurückziehen. Sie sind hochbezahlt und hochqualifiziert – und das Ergebnis ist ohne Bedeutung.“

Peter Jacobsen, Ex-Tour-Profi, Kommentator für NBC Sports und Golf Channel


Das mag für die Hinterbänkler des Circuits sicher so gelten. Doch bei der Beletage der LIV-Leute wirkten die Events nicht selten wie ein lustiger Herrengolf-Nachmittag – umrahmt von dekadenten Party-Exzessen und teils spärlich bekleideten Damen, aka den Spielerfrauen Paulina Gretzky-Johnson oder Jena Sims-Koepka. Nicht nur „ESPN“ fragt sich daher: „Interessiert sich dieser zusammengewürfelte Haufen ehemaliger Major-Champions, Weltranglistenerster und alternder PGA-Tour-Überläufer dafür, Golf auf Elite-Niveau zu spielen?“ Oder: „Nehmen die (sehr) hoch bezahlten LIV-Golfer das Spiel überhaupt noch ernst?“

Jordan Spieth: „LIV hat vieles beschleunigt“

Jedenfalls ist zu konstatieren: Die alte Ordnung im Profigolf der Herren ist trotz LIV und auch nach diesem disruptiven Golfjahr 2022 weiterhin intakt. Nicht zuletzt, weil die PGA Tour mit viel Geld und der Ausbildung elitärer Kasten-Strukturen bei Spielern wie Turnieren dagegen hält. Jordan Spieth hat es treffend zusammengefasst: „LIV hat vieles beschleunigt, was längst überfällig war. So gesehen war’s gut für die PGA Tour und die tourtreuen Spieler.“ Ein Miteinander wird es auch in Zukunft nicht geben, solange die derzeit handelnden Personen namens Norman und Jay Monahan als PGA-Tour-Commissioner das Sagen haben. Aber ein offenbar erquickliches Nebeneinander: Konkurrenz belebt nun mal das Geschäft.

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