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Das Geschäftsmodell der LIV-Liga: Franchises und irgendwann ein Geldrückfluss

08. Sep. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

Franchise ist das Stichwort, mit dem LIV Golf sich eines Tages die Investitionen zurückholen will. (Fotos: Getty)

Franchise ist das Stichwort, mit dem LIV Golf sich eines Tages die Investitionen zurückholen will. (Fotos: Getty)

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Es gibt Medien, amerikanische vor allem, die der Meinung sind, dass die LIV Golf Invitational Series am vergangenen Sonntag endlich bei ernsthaftem Turniergolf angekommen sei. Weil Dustin Johnson erst in einem Play-off die Neuzugänge Joaquin Niemann und Anirban Lahiri niederringen musste, um den Siegerscheck über vier Millionen Dollar zu kassieren. „Wir können uns nicht mehr mit der Vorstellung trösten, dass sich die LIV-Events niemals wie Wettbewerbe anfühlen werden“, notierte beispielsweise das mit viel Expertise geführte Portal „The Fried Egg“: Der Circuit trete in eine neue Ära ein.

In Boston war Halbzeit; keine Eintagsfliege

Pünktlich zur Halbzeit. The Internal Golf Club in Boston war der vierte von acht Gastspielorten in dieser Saison, und was immer man der von Greg Norman inszenierten und von Saudi-Arabien bezahlten Attacke aufs Golf-Establishment nachsagen mag: Die LIV-Liga wird – entgegen vieler Erwartungen – alles andere als eine Eintagsfliege sein und so schnell nicht wieder von der Turnier-Landkarte verschwinden. Da seien die Moneten der Monarchie am Persischen Golf vor: die in fast Dagobert Duck’scher Manier prall gefüllten Geldspeicher des Public Investment Fund (PIF), mit dem das Haus Saud seine wirtschaftlichen Feldzüge und die globale Einflussnahme finanziert.

Sportswashing-Argument wird obsolet

Aber was steckt dahinter, wenn eine Dynastie gleich eine ganze Sportart auf ihre Seite ziehen will, in dem sie deren Protagonisten mit Schubkarren voller Schotter ködert? Zur Erinnerung: Allein für Spielerverpflichtungen wurde bislang locker eine Milliarde auf den Tisch geblättert; dazu addieren sich die Kosten für Management, Logistik, Spielorte, Bühnenbau, nicht zuletzt für Party und Pampering der Akteure und ihrer Entourage – „Pomp & Circumstances“. Lassen wir das allfällige Sportswashing-Argument einfach beiseite, es wird ohnehin obsolet: In einer von unzähligen Informationskanälen erregten Welt ist die Wirkweise relativ.

„Big Player“ und der „Salvator Mundi“

Die Saudis wollen schlichtweg als Big Player wahrgenommen werden, ihre Macht, ihren Einfluss, ihre Bedeutung herausstreichen. Die eine Hälfte der Welt kam und kommt wegen des Öls zum Kotau nach Riad – oder um westliche Wirtschaftswerte an die zahlungskräftigen „Wüstensohne“ zu verhökern. Aber weil’s nun mal „Brot und Spiele“ heißt, soll die andere Hälfte auch was zum Anfeuern und Applaudieren bekommen: Formel 1, Boxen, Fußball in England und eben Golf rund um den Globus.

Das Magazin „The Athletic“ hat über diese Strategie einen lesenswerten Artikel veröffentlicht. Der führt sinnigerweise ein sportfremdes, hingegen bezeichnendes Beispiel an – den Kauf von Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“, das als berühmtestes Bildnis der Christenheit gilt und Jesus als Heiland zeigt. 450 Millionen Dollar ließ sich Kronprinz Mohammed bin Salman 2017 die „männliche Mona Lisa“ kosten, die der saudische Kulturminister damals beim Auktionshaus Christie’s in herrschaftlichem Auftrag ersteigert hatte.

Khashoggi und Hinrichtungen, „Neom“ und „The Line“

Warum macht der starke Mann des Wahhabiten-Clans das? Fürs Museum? Weil er ein kultureller Schöngeist ist? Um die Ikone der verhassten „Konkurrenz-Religion“ verschwinden zu lassen? Nein, einfach weil er es kann. So, wie er als Verteidigungsminister den zum Staatsfeind erklärten regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi ermorden ließ und als Vize-Premier Massen-Hinrichtungen zu verantworten hat. So, wie er die Technologie-Megalopole „Neom“ und dazu die 170 Kilometer lange Super-Ökostadt „The Line“ bauen und dort die asiatischen Winterspiele ausrichten lassen will.

PIF als finanzielle Füllhorn für alle Ambitionen

Mit dem von Golf-Aficionado Yasir bin Othman Al-Rumayyan geleiteten, kolportierte 620 Milliarden Dollar schweren Staatsfonds PIF haben Salman und seine Sauds das finanzielle Füllhorn für ihre Ambitionen. Die PIF-Beteiligungen und -Aktivitäten sind Legion, sie haben die Finger bei Uber und Facebook ebenso drin wie bei Netflix und Disney oder im Banken-Business. Unlängst halfen sie Donald Trumps klammem Schwiegersohn Jared Kushner mit zwei Milliarden Dollar; andererseits hat ihnen allein der Ölkonzern Aramco im zweiten Quartal 2022 einen Reingewinn von 48,4 Milliarden Dollar in die Kassen gespült. Notfalls werden alle Widerstände mit der schieren Wucht des Zasters tot geschlagen oder ausgesessen.

 

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In Sachen Golf machen Salman und Al-Rumayyan das überdies sehr clever. Sie bieten für vergleichsweise geringe sportliche Ertüchtigung ein hohes Maß an Privilegien: Die Spieler müssen sich für viel mehr Geld viel weniger strecken. Sie adressieren zudem den für Glamour, Luxus und Statussymbole durchaus anfälligen Geno-Tpyus der „Spielerfrau“ und gestalten ein opulentes, ja fast dekadentes Umfeld samt Bühnen zur Selbstdarstellung. Man erinnere nur die Auftritte der herausgeputzten Paulina Gretzky-Johnson, Jena Sims-Koepka oder Ashley Perez. Oder das Geschehen im splendiden Party-Privatjet.

Überhaupt gilt das uralte Prinzip von „Cherchez la Femme“. Amanda Varner hat bei ihrem Harold ebenso den Ausschlag für den LIV-Wechsel gegeben wie Gattin Angie bei Bubba Watson.

Caddies sind nicht mehr zweite Klasse

Ein weiterer, vielfach zu wenig berücksichtigter Faktor sind die Caddies. In der LIV-Liga werden die Looper endlich nicht mehr behandelt wie Menschen zweiter Klasse – ein Vorwurf, den sich die PGA Tour nebst vielen anderen sehr wohl anheften lassen muss. Greg Norman spendiert Flüge und eine anständige Unterkunft – was die Bag Men sonst vielfach selbst zu bezahlen haben –, sie müssen bei den Events nicht mehr sogar im Wortsinn im Regen stehen, werden gut verköstigt und dürfen sich als vollwertiger Teil des Ganzen fühlen. Insgesamt stehen für jeden Spieler und seine Entourage jeweils vier Flüge – einer in der ersten Klasse, einer in der Premium Economy und zwei in der normalen Economy-Klasse – sowie vier Zimmer in einem First-Class-Hotel zur Verfügung.

„Manager hatten Dollarzeichen in den Augen“

Kurz: Bei LIV haben die Caddies mehr Rechte als die Frauen in Saudi-Arabien. Und angesichts der geübten Praxis von zehn Prozent Anteil sind gegenüber einer LIV-Golf-Platzierung wahrlich Brosamen, was auf der PGA Tour und erst recht auf der DP World Tour für den Mann an der Tasche abfällt. Irgendjemand hat ausgerechnet, dass LIV einen durchschnittlicher Mehrverdienst von 171 Prozent bringt. Mancher Caddie wird seinen Chef allein deswegen ordentlich bekniet haben. Und ein Spielerberater erzählt: „Mich haben mehr als ein Dutzend Caddies angerufen, die unbedingt ein Bag [in der LIV-Liga] haben wollten.“

Apropos: die Manager. Billy Horschel sprach am Rand der BMW PGA Championship davon, dass manche LIV-Spieler „nicht smart genug sind, um selbst zu denken“ und von ihren Repräsentanten vielleicht eher schlecht beraten worden seien – in Sachen sportliche Konsequenzen beispielsweise. Horschel sagte jedoch gleichzeitig: „Ich denke, diese Manager hatten Dollarzeichen in den Augen und wollten einfach selbst gehörig von so einem Wechsel profitieren.“

„Cui bono?“, wem zum Vorteil?

Da könnte was dran sein. Es ist die vom römischen Redner Marcus Tullius Cicero um 80 v. Chr. formulierte und seither universell sinnige Frage: Cui bono, wem zumVorteil? Spielerberater oder Agenturen kriegen Provision für neue geschäftliche Arrangements wie Sponsorenverträge oder Gastauftritte, 20 Prozent sind üblich. Sie partizipieren indes nicht an Major-Erfolgen und sonstigen Meriten. Doch wenn Phil Mickelson 200, Dustin Johnson 150 oder Bryson DeChambeau und Cameron Smith 100 Millionen Dollar an garantierter Gage kriegen, dann haben auch „Leftys“ Berater Steve Loy und Johnsons Agent David Winkle und alle anderen ausgesorgt, die im Hintergrund die (Spieler-)Strippen ziehen.

„Der größte Zahltag ihres Lebens“

Oder wie es einer aus der Branche bei „Golf Digest“ erzählt hat, der natürlich ungenannt bleiben will: „Wem nützen diese inflationären Zahlungen? LIV, klar, weil sie damit Spieler und Aufmerksamkeit generieren. Natürlich ebenso den Spielern selbst. Das System kommt den Agenten zugute, die versuchen, neue Spieler zu verpflichten oder andere Kunden dazu zu bringen, den Sprung zu wagen.“ Ein altgedienter PGA-Tour-Caddie bestätigt das: „Eine der Background-Stories dieser LIV-Sache ist, dass Berater und Manager verzweifelt den größten Zahltag ihres Lebens realisieren wollen.“

Investor erwartet durchaus Profit

Wohin führt das Ganze? Die Saudis sind gekommen um zu bleiben. Niemand, und gewinnt er noch so viel Image und Reputation, will auf Dauer Geld versenken. „Unser primärer Investor engagiert sich weltweit in profitablen Geschäftsbereichen. Wir unterliegen ebenfalls der Erwartung eines Return of Investment“, sagt Atul Khosla, der bei LIV Golf als COO das operative Geschäft verantwortet und vorher bei den Tampa Bay Buccaneers in der US-Football Liga NFL tätig war. „Wie jedes Start-up haben wir Vorkosten, um das Produkt auf den Markt zu bringen, und glücklicherweise einen Partner, der die Geduld für eine methodische und solide Etablierung hat.“

Lizenzierung von Marken und Teams

Wenn LIV-Impresario Greg Norman vom „Zeitalter der Free Agency“ im Golfsport plappert und der Kalender seines Circuits für 2023 insgesamt 14 Events mit immer denselben 48 Spielern ausweist, die auf zwölf feste Teams aufgeteilt sind, dann weisen diese Indizien genau in die angepeilte Richtung. Das Zauberwort heißt „Franchise“, jenes zuvorderst in den US-Mannschaftssportarten praktizierte Geschäftsmodell, dessen Kern die Lizenzierung von gewerblich betriebenen Marken und Teams in einem geschlossenen Liga-Kreislauf ist.

Potente Partner engagieren sich mit Geld

In den USA sind alle Top-Mannschaften „Franchises“, ganz gleich ob Eishockey, Basketball, Baseball oder eben American Football, wo die Dallas Cowboys laut „Forbes Magazin zur wertvollsten Mannschaft der Welt avanciert sind, obwohl sie letztmals 1995 den Super Bowl gewonnen haben. Es geht höchstens im Vordergrund um Punkte und Titel, in Wahrheit jedoch um Marketing, Merchandising und Medienrechte.

Wer ein bisschen in die LIV-Struktur schaut, findet zweifelsfrei Anknüpfungspunkte. Nach eben diesem Muster will LIV Golf unter wohlhabenden Golfliebhabern und bei golfaffinen Unternehmen potente Partner als Eigentümer oder Eigentümer-Gemeinschaften für seine Teams akquirieren. Teile des „Anlagevermögens“ sollen bei der Liga und auf jeden Fall zu 25 Prozent bei den jeweiligen Team-Kapitänen verbleiben.

DeChambeau hat mit seinem Team viel vor

Bryson DeChambeau beispielsweise, in all seiner Exzentrik ein außerordentlich heller Kopf, hat das längst erkannt. Der Profi aus Dallas habe mit seinem Team, den „Crushers“, eine Menge vor, verriet LIV-Neuzugang Anirban Lahiri nach einem gemeinsamen Dinner mit DeChambeau, Paul Casey und Charles Howell III in Boston: „Bryson hat einen sehr klaren Blick auf das Thema Franchise und sehr kreative Ideen für die Zukunft des Teams.“ Damit erklärt sich auf weitere Weise DeChambeaus Aussage, der Wechsel ins LIV-Lager sei vorrangig eine geschäftliche Entscheidung gewesen.

Was LIV fehlt, ist ein ordentlich dotierter Deal in Sachen Übertragungsrechte mit den „üblichen Verdächtigen“ der TV-Branche, der Bewegtbilder des sportlichen Geschehens breitflächig unter die Leute bringt. Wie sagte neulich Max Homa in anderem Zusammenhang: „Wir sind ein Unterhaltungsprodukt. Und egal wie gut wir sind: Wenn uns dabei niemand zugucken kann, sind wir bloß Typen, die anderen Typen in der Bar weismachen wollen, dass wir gute Golfer sind.“

Keine Deadline für die Zielvorgaben

Laut COO Khosla stehen Gesprächspartner schon auf der Matte, insbesondere solche, die bei PGA Tour und Co. rausgeboxt worden sind oder anderweitig nicht zum Zuge kam. Offenbar wollen Medienpartner und Werbetreibende erst mal abwarten, welche Kontinuität und Konstanz das Konkurrenz-Konstrukt an den Tag legt. „Wir vergleichen uns gern mit der Formel 1“, sagt dazu Turnierdirektor Ron Cross. „Wenn du zu einem Formel-1-Rennen gehst, dann erwartest du die immer gleiche, unverwechselbare Atmosphäre – lediglich der sportliche Schauplatz hat seine individuellen Besonderheiten. Dieselbe Identifikation von Medien, Partnern und Fans mit LIV-Golf-Events ist unser Ziel.“ Und, ergänzt Atul Khosla: „Niemand hat uns für das Erreichen dieser Ziele eine Deadline gesetzt.“

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