Profisport Herren

Schlaglängen-Debatte: Rückfall in die Golf-„Steinzeit“ ist keine Lösung

29. Jul. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

Denkende Spieler belohnen, nicht Kraftmeier. (Foto: Getty)

Denkende Spieler belohnen, nicht Kraftmeier. (Foto: Getty)

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Der Kurs-Crasher ist wieder da: Nach einer kurzen Auszeit – vermutlich, um neue Protein-Shakes anzurühren – greift Bryson DeChambeau beim WGC – St. Jude Invitational wieder zum 5,5-Grad-Driver, um auch den TPC Southwind in Memphis zur Pitch-und-Putt-Wiese zu degradieren. Seit seiner Transformation zum Golf-Hulk in der Corona-Zwangspause befeuert der Texaner mit Muskelzuwachs und Monsterabschlägen die Debatte um die Inflation der Schlaglängen im Profi-Golf, die R&A und USGA bereits bei Veröffentlichung ihres jüngsten Reports im Februar als gefährlich für das Spiel eingestuft hatten.

Plätze sind dem Wachstum nicht mehr gewachsen

DeChambeau, der mit durchschnittlich 296 Metern die Saison-Statistik der PGA Tour anführt, die Murmel in seinem neuen Ich allerdings gern mal über die 350-Meter-Marke wuchtet, hat der eigentlich alten Debatte neue Nahrung verliehen. Das ist ihm geradezu als Verdienst anzurechnen. Denn zahllose Plätze, zumal die klassischen Kurse und die Ikonen der Golflandkarte sind dem Wachstum von Muskeln und Material, der Entwicklung von Physis und Technologie schlichtweg nicht mehr gewachsen.

Mehr noch: Sie können nicht mitwachsen. „Wir haben auf Dauer einfach nicht genug Land und nicht genug Geld, um ständig Plätze zu verlängern“, sagte unlängst Jack Nicklaus als Gastgeber des Memorial Tournament. Der „goldene Bär“ bringt es auf den Punkt. Wahrlich nicht jede Anlage hat die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Augusta National Golf Club, der seit Jahren Millionen von Dollar für Erweiterungen ausgibt, um Spielbahnen wie die grandiose 13 im Sinne der Philosophie ihrer Schöpfer Alister MacKenzie und Bob Jones gegen die Attacken der Golf-Moderne zu wappnen.

Reflexhafte Vorschläge

So wird nun landauf landab über Wege aus der Weitenproblematik debattiert. Und weil die Hersteller offenkundig im Golf ebenso viel lobbyistischen Einfluss haben wie man es hierzulande gemeinhin der Automobilindustrie nachsagt, und es damit schaffen, den Ball bislang sakrosankt zu halten, mündet alles in vorhersehbare, fast reflexhafte Vorschläge: Von Ernie Els bis hinab zur Ebene der Hobby-Spieler werden schmal gemähte Fairways und Landezonen sowie kniehohes Rough protegiert; Charley Hoffman als aktueller Vorsitzender des Spielerbeirats der PGA Tour brachte dieser Tage überdies noch harte Grüns ins Gespräch.

In vielen US-Medien werden diese Anregungen als naheliegende Lösungen, als „pretty simple“, gelobt. Simpel hingegen wäre womöglich, eine Turnierkollektion Bälle aufzulegen und diesen Exemplaren ein paar Mü Gewicht mehr zu verpassen, hier spricht freilich ein Technik-Laie.

Beispiel Erin Hills und Shinnecock

Jedenfalls machen es sich Els, Hoffman und Co. – bei allem Respekt – mit ihren Vorschlägen definitiv zu einfach. In Sachen hohes Rough sei an die US Open von Erin Hills 2017 und an den Aufstand der Spieler angesichts des grünen „Sumpfs“ neben den Fairways erinnert. Ein Jahr später, in Shinnecock Hills, hat die USGA zudem mit beinahe unspielbar heruntergemähten und ausgetrockneten Puttflächen ein eindrucksvolles Negativbeispiel für die Hybris zu harter Grüns geliefert.

Überhaupt: Bis wohin sollen denn die nadelöhrschmalen Fairways samt dem Rough-Urwald reichen, wenn DeChambeau und Co. ihre Abschläge auf durchschnittlich langen Par-4-Bahnen fast bis ans Vorgrün feuern? Zumal sie sich von minimierten Fairways ohnehin kaum abhalten lassen dürften, mit der Aussicht auf ein Birdie oder gar ein Eagle das Risiko eines aus dem Rough gehackten Balls in Kauf zu nehmen. Sekt oder Selters halt. Und was ist mit den „Average Joes“, die vorher Greenfee für das Spiel auf einem Tour-Platz bezahlen sollen und sich dann mit dem über Wochen wuchernden Wildwuchs herumschlagen müssen? Vor allem: Wofür braucht‘s dann überhaupt noch Golfplatzdesign?

Solche Ideen machen Design obsolet

Die Gestaltung einer Golfbahn beginnt nun mal nicht beim Grünkomplex und erschöpft sich nicht in einer möglichst langen Luftlinie bis dorthin. Wenn Bunker, Doglegs, strategische Achsen und so weiter eh nicht mehr im Spiel sind oder einfach überspielt werden, ist der ganze Gestaltungsaufwand obsolet. Dann taugt jede x-beliebige Wiese zum Golfplatz, die man bis auf schmale Streifen zuwachsen lässt und mit trickreich ondulierten, knallharten Grünsflächen versieht. Ach, den Graswuchs kann man sich eigentlich gleichermaßen sparen, den Verlauf der Fairways mit Farblinien markieren und Abweichungen mit Strafschlag belegen. Geht‘s noch!

So was wäre ein Rückfall in die „Steinzeit“, als sich Golf Ende des 19. Jahrhunderts aus den Routing, Layout, Gestalt, Kontur und mithin Diversität gebenden Dünen der britischen Küstenstreifen landeinwärts wandte und auf nahezu normierten, symmetrischen Parcours mit artifiziellen, quer verlaufenden Barrieren ausgetragen wurde.

Denkende Spieler belohnen, nicht Kraftmeier

Die trostlosen Designprinzipen von „Freeway“ und „Penal“ (bestrafend) prägten damals das Spiel und seine Spielfelder, bevor Koryphäen wie Donald Ross oder Alister MacKenzie im „Goldenen Zeitalter der Golfplatz-Architektur“ aus dem eingehenden Studium des Old Course in St. Andrews eine neue Philosophie entwickelten, die den denkenden Spieler belohnt, nicht den Kraftmeier: das strategische Design, bei dem mehrere Wege zum Ziel führen; das als Königsdisziplin der Platzgestaltung die kluge Kreativität des Architekten und auf der anderen Seite Course Management sowie Shot Making vom Golfer verlangt; das idealerweise mit einigen ausgeklügelten Risk-and-Reward-Löchern, der klugen Version von Penal Design, aufgelockert wird.

Kein Nachteil für „lange Kerls“

Ernie Els hat zurecht angemahnt, dass Akkuratesse wieder Priorität gegenüber Länge haben sollte. Dasselbe meint R&A-Boss Martin Slumbers, wenn er darauf hinweist, dass „Golf auf ,Skills‘, auf Geschick, Können und Kunstfertigkeit beruht, nicht auf roher Gewalt“. Niemand will Longhitter wie DeChambeau oder Cameron Champ ihrer individuellen Vorteile berauben oder nur sie einbremsen. Wenn aufgrund welcher Restriktionen auch immer das ganze Feld zehn Prozent weniger weit schießt, ändert sich an den Verhältnissen gar nichts – die „langen Kerls“ sind nach wie vor vorn. Bloß die Plätze ziehen nicht mehr den Kürzeren.

Aber es kann wahrlich nicht damit getan sein, dass bloß ein gerade geschlagener und trotzdem möglichst langer Ball über Wohl und Wehe auf der Score-Karte entscheidet.

Herausforderung für Psyche und Schlag-Fertigkeit

Dieser Ansatz tritt einen elementaren Aspekt der Golf-Faszination mit Füßen: den landschaftlichen Abwechslungsreichtum und die Herausforderungen für Psyche wie Schlag-Fertigkeit, die gutes Golfplatz-Design anbietet und auszeichnet. Will heißen: Selbst wenn die Hindernisse nunmehr in Form von rigidem Rough längs verlaufen, ist das ebenfalls nichts anderes als stumpfes Penal Design.

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