Profisport Herren

Woods und Jordan als geplante Eckpfeiler: Das „Project Wedge“ der Saudis

21. Dez. 2022 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

(Foto: Getty)

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Dank einer Umfrage des „Sport Business Journal“ ist es quasi amtlich, aber sowieso dürfte unbestritten sein: LIV war DAS Golf-Thema des Jahres 2022, die Renaissance von Lydia Ko und Rory McIlroy an der Spitze der Weltrangliste hin, das Spiel zwischen Klimawandel und Inflation her. Wen lockt Greg Norman in den Konkurrenz-Circuit, wie reagiert das Establishment, wer verklagt wen, was machen die Majorveranstalter? Und und und. All diese Aspekte waren in den vergangenen Monaten ständige Begleiter – spätestens, seit der US-Journalist Alan Shipnuck die Kollaboration des Phil Mickelson mit den „Scary Motherfuckers“ aus Saudi-Arabien publik gemacht hat.

„Abwegige Hypothesen“

Und das Jahr endet, wie es begonnen hat. Mit einer Art Bombe, die diesmal indes in der „New York Times“ (NYT) geplatzt ist. Das renommierte US-Blatt, stark in Sachen Politik und Wirtschaft und ohnehin stets sehr golforientiert, veröffentlichte unlängst einen Artikel mit der Überschrift „Vertrauliche Aufzeichnungen zeigen eine saudische Golftour, die auf abwegigen Hypothesen beruht“. Das klingt sperrig, trifft aber den Kern der Causa LIV.

Ein Keil ins bestehende System

Die Zeitung beruft sich auf einen Businessplan des Beratungsunternehmens McKinsey & Company, das im Auftrag von Yasir Al-Rumayyan, dem golfbegeisterten Direktor von Saudi Arabiens Geldspeicher namens Public Investment Fund (PIF) und seines Dukatenesels Aramco, die Möglichkeiten analysiert hat, sich des professionellen Golfsports zu bemächtigen. Oder zumindest einen Keil ins bestehende System zu treiben und sich ein dickes Stück vom Kuchen heraus zu lösen.

Es geht nicht um Geld oder pures Sportswashing

Sinnigerweise trägt das 2021 verfasste Papier denn auch den Codenamen „Project Wedge“. Es liegt der NYT vor, umfasst Hunderte von Seiten, listet diverse Szenarien und deren Erfolgsaussichten, offenbart ebenso hochfliegende wie unrealistische Vorhaben und zeigt, dass es bei der Attacke auf das Golf-Establishment letztlich weder ums Geschäft noch um simples Sportswashing geht. Sondern vielmehr um Macht, Einfluss, Prestige und die Position im geopolitischen Gefüge am Golf von Persien und auf dem Globus generell.

Ambitionen als Taktgeber des Zeitgeschehens

McKinsey berät das Königreich seit den 1970er-Jahren und spielt eine Schlüsselrolle in den fantastischen Vorstellungen, die der Kronprinz und De-Facto-Herrscher Mohammed bin Salman unter dem Credo „Vision 2030“ verfolgt, um die absolutistische Monarchie zu einem Taktgeber des Zeitgeschehens zu machen. Dazu gehören die 170 Kilometer lange futuristische Megastadt The Line ebenso wie Weltsport-Ereignisse. Formel-1-Gastspiele beispielsweise. Box-Events. Sogar die alsbald die Asiatischen Winterspiele. Und halt Golf.

Manifest des golfsportlichen Größenwahns

Nun ist McKinsey weit davon entfernt, die Phantasmagorien von MBS und Al-Rumayyan, seiner rechten Hand in allen wirtschaftlichen Belangen, zu befeuern. Das Unternehmen mit Hauptsitz in New York und Niederlassungen in 65 Staaten der Welt macht bloß die Rechnung für das auf, was ihnen an Plänen und Perspektiven vorgesetzt wird; die Berater betonen fürs „Project Wedge“ gleichsam, das Vorhaben nicht hinsichtlich seiner Tragfähigkeit beurteilt, sondern auf Basis der Vorgaben lediglich verschiedene Szenarien kalkuliert zu haben. Gleichwohl liest sich das Papier in Teilen wie ein Manifest des golfsportlichen Größenwahns.

Die Utopie von den weltbesten Zwölf

Was McKinsey nämlich für den Idealfall ansetzt oder vom Auftraggeber als Ansatz vorgesetzt bekommen hat, könnte utopischer kaum sein. Da ist die Rede von der Verpflichtung der zwölf besten Golfer der Welt zuzüglich Tiger Woods; von Sponsoren, die sich mit enormen Geldern einbringen; von einem fetten Fernsehvertrag und nicht zuletzt von einer PGA Tour, die dem Wind aus der Wüste keinerlei Widerstand entgegensetzt. Dann, so McKinsey, könne LIV Golf bis 2028 Netto-Einnahmen von rund 1,4 Milliarden Dollar erzielen.

VIP-Gremium als Testimonials

Mehr noch: Für das künftige Franchise-Konstrukt nach Vorbild des US-Teamsports soll ein großkalibriges Gremium aus Sport- und Wirtschafts-VIP die Köpfe als Testimonials hinhalten: „His Airness“ Michael Jordan, Ex-US-Außenministerin und Augusta-National-Mitglied Condoleezza Rice, Nike-Boss Mark Parker. Insgesamt neun oder zehn namhafte Menschen, darunter ebenso Rices Club-Kollegin Gini Rometty, einstige CEO von IBM, und Ex-AT&T-Chef Randall Stephenson, der im Vorstand der PGA Tour sitzt, die jedoch beide nach eigener Aussagen nie kontaktiert wurden.

Ausgerechnet der Edelfan „His Airness“

Es ist ja auch absurd. Ausgerechnet US-Ryder-Cup-Edelfan Jordan, ausgerechnet Grünjacken aus Georgia, wo man sich gerade wieder über den Kleinkrieg der Touren gestellt hat. Ausgerechnet Leute aus dem inneren Zirkel des Establishments, die als Ausrüster und Werbepartner eng mit LIV-Gegnern wie Woods, Rory McIlroy und Jordan Spieth verbunden und mit der PGA Tour verbandelt sind.

Aber es gehört eh zur Attitüde der Saudis, eventuelle Fronten gar nicht erst ins Kalkül zu ziehen: MBS und Al-Rumayyan verlassen sich darauf, mit den Milliarden des PIF alles kaufen oder notfalls platt machen zu können, was sich ihren Ambitionen in den Weg stellt. Experten gehen übrigens davon aus, dass dessen Vermögen bis zum Jahr 2030 auf zwei Billionen Dollar anwächst.

Das Negativ-Szenario klingt bekannt

Die PGA Tour wiederum hat die sich anbahnende Saudi-Sause anfangs ja ebenfalls nicht als ernste Gefahr wahrhaben wollen und rennt der Entwicklung seitdem hinterher. McKinsey freilich hat in seiner Perspektiv-Beurteilung gleichermaßen eine Rechnung „ohne den Wirt“ gemacht und ein interessantes Worst-Case-Szenario entwickelt. Demnach bleibt die LIV-Liga in einer Art Anfangsphase stecken, verführt nicht mal die Hälfte der weltbesten Zwölf zum Seitenwechsel, findet außerhalb des Saudi-Imperiums kaum Sponsoren, kann keinen ordentlichen TV-Deal klar machen, sieht sich zudem mangelnder Begeisterung des Publikums und zu wenigen Fans vor Ort sowie überdies heftigem Gegenwind der PGA Tour ausgesetzt. Kommt das jemandem bekannt vor?

„Legitimation vor den Augen der Welt“

Laut NYT führt diese Situation nach den Berechnungen der Berater im Jahr 2028 zu Verlusten in Höhe von 355 Millionen Dollar. Andererseits sind das Peanuts für die wahren Protagonisten des „Project Wedge“, für Mohammed bin Salman und seinen PIF. Die „New York Times“ zitiert in diesem Zusammenhang Simon Chadwick, Professor für Sport und geopolitische Wirtschaft an der Skema Business School in Paris. „Die Gewinnspannen mögen gering sein, aber das spielt keine Rolle“, sagt der Brite. „Weil derartige Aktivitäten Saudi-Arabiens Legitimation untermauern – nicht nur als Ausrichter von Veranstaltungen oder als Sportmacht, sondern auch in den Augen von Entscheidungsträgern und Regierungen in aller Welt.“

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