Panorama

The Lido: Die Long-Island-Legende lebt, nachgebaut von Tom Doak in Wisconsin

14. Aug. 2023 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

The Lido in Wisconsin, USA. (Foto: https://www.instagram.com/jeffkmarsh/)

The Lido in Wisconsin, USA. (Foto: https://www.instagram.com/jeffkmarsh/)

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Einfach irre, diese Keisers. Aber was wäre Golf ohne solche Visionäre. Der Autor traf Michael und Chris Keiser vergangenes Jahr am Wild Atlantic Way im Nordwesten von Irland. Zufällig. Die Amerikaner waren auf Linksgolf-Rundreise. Sie tourten gerade über die Kurskostbarkeiten von Schottland und Irland, um Inspirationen für neue Projekte im „Dream Golf“-Portfolio der Keiser-Familie zu sammeln, das Vater Mike mit Bandon Dunes an der Pazifikküste von Oregon begründet hatte, nachdem er in Chicago als Produzent von Grußkarten aus Recyclingpapier zu Wohlstand gekommen war. Seine Söhne geben dem Lebenswerk des Seniors neue, eigene Impulse.

„Erschaffe etwas Außergewöhnliches“

Build it and they will come: Erschaffe etwas Außergewöhnliches –  und dessen Reiz, dessen Nimbus sind Werbung genug, sind das ultimative Marketingtool für alle Golfpuristen rund um den Globus. Mit diesem Anspruch haben die Keisers Sehnsuchtsorte geschaffen: Bandon Dunes umfasst mittlerweile sieben charismatische Plätze am Pazifik; Cabot Cape Breton auf Nova Scotia, drei pittoreske „Cliffhanger“ über dem Atlantik; Sand Valley, ein grandioses Ensemble mit insgesamt 71 Löchern in einem Nirgendwo namens Nekoosa in Wisconsin.

Dazu demnächst Rodeo Dunes in einem entlegenen Landstrich von Colorado, derzeit noch ein 809 Hektar umfassender Ozean aus Sand und Magergras mit bis zu 25 Meter hohen Hügeln. „Wir streben danach, Golferlebnisse zu bieten, die so stark, so pur und unverfälscht sind, dass die Seele aufgewühlt wird und man nicht anders kann, als davon zu träumen, dort zu spielen oder wieder zurückzukommen und zu spielen“, wird Michael Keiser geradezu prosaisch.

 

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The Lido freilich ist ohnehin schiere Lyrik. Gerade haben die Keisers ihr jüngstes Geschenk an die Golfwelt vollendet und eröffnet – als Ode an das goldene Zeitalter der Golfplatz-Architektur in den USA in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Der Platz liegt nördlich der Hauptzufahrt von Sand Valley, ist der vierte 18-Loch-Kurs des Resorts und die Replika einer Legende, eines verloren geglaubten Meisterstücks von Charles Blair Macdonald, mit dem dieser sich endgültig einen Platz im Pantheon der Golfarchitektur sicherte. Der gebürtige Kanadier hatte The Lido originär in den 1910er-Jahren an die Küste von Long Island gepflanzt, dem Insel-Refugium des New Yorker Geld- und Gesellschaftsadels.

In doppelter Hinsicht ein Kunstwerk

Die Anlage stellte damals in doppelter Hinsicht ein regelrechtes Kunstwerk dar: Zum einen als erster Parcours in den USA, der komplett artifiziell gestaltet wurde. Macdonald hatte dafür den Bauingenieur und Geodäten Seth Raynor hinzugezogen, der später selbst zu einem herausragenden Vertreter der Golfarchitekten-Gilde avancieren sollte. Die beiden ließen das Marschland mit über 1,5 Millionen Kubikmetern Sand topfeben auffüllen und dann schichtweise mit Mutterboden modellieren. Es existierten keine Geländekonturen, die berücksichtigt werden mussten; jeder steile Buckel, jede Senke und jeder Hügel war orchestriert. Das Unterfangen verschlang die seinerzeit ungeheure Summe von 800.000 Dollar.

 

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Zweitens galt das Ensemble als Melange all der Gestaltungsmerkmale, die Macdonald bei seinen Studien berühmter Plätze auf den britischen Inseln als spielbestimmend und ergebnisprägend ausgemacht und als „Template Holes“ definiert hatte. Ob Redan, Alps, Road, Biarritz oder Eden: Jedes der insgesamt 21 Musterlöcher hat seine spezielle Charakteristik, um gute Golfer zu fordern und allen anderen dennoch die Spielwinkel und Optionen für Erfolgserlebnisse zu bieten. Die Konstruktion wird indes stets den Verhältnissen des jeweiligen Terrains angepasst.

Alister Mackenzie war ebenfalls beteiligt

Bei Macdonalds „Long Beach Course“ flossen zudem preisgekrönte Entwürfe eines Designwettbewerbs ein, den das Magazin „Country Life“ 1914 ausgelobt hatte. Ein Teilnehmer inspirierte Macdonald durch seine Einsendung gar zum strategischen Entwurf der 18. Bahn mit zahlreichen Spiellinien. Sein Name: Alister Mackenzie. Sie wissen schon, der schottische Chirurg, der mit Royal Melbourne, Cypress Point, Pasatiempo und Augusta National golferische Unsterblichkeit erlangte.

Great Depression und US-Navy

Für den nicht minder legendären Golfchronisten Bernard Darwin war The Lido bei der Eröffnung 1917 „der beste Platz der Welt“. Doch selbst ein derartiger Status feit nicht vor den Geschicken der Geschichte. Macdonalds Maßstab begeisterte nur gute 13 Jahre, dann verkam er in den Folgen der Great Depression und der Weltwirtschaftskrise. Später verleibte sich die US-Navy das gesamte Gelände am Atlantik ein, um Stützpunkte für die Beteiligung am Zweiten Weltkrieg zu errichten. Heute befindet sich dort ein Wohnviertel samt Highschool, Apartmentkomplex und Strandbereich.


Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Lost Courses – Golfplätze, die den Lauf der Zeit nicht überlebt haben und in Vergessenheit geraten sind. Ihre Anzahl wird auf rund 50 geschätzt. Die Bekanntesten dürften der Herzogliche Golf Club im thüringischen Oberhof (1907 bis 1951), der Großherzogliche Golf Club Darmstadt (1892 bis 1942) oder etwa der Golf und Sportclub Heiligendamm (1924 bis Zweiter Weltkrieg) sein. Die Recherche ist ein Ausflug in die Geschichte und liefert eine Menge Erzählstoff – wie The Lido. Fortsetzung folgt.


Der einst als amerikanische Nummer zwei hinter Pine Valley geführt Kurs hingegen existierte irgendwann nur noch auf vergilbenden Routing-Skizzen oder verblassenden Fotos und wurde zum Mythos. Glücklicherweise überlebte er gleichermaßen im Computer von Peter Flory sowie im Kopf von Mike Keiser. „Mein Vater hat mit der Idee begonnen, privates, elitäres Golf auf das ursprüngliche Spielerlebnis zu reduzieren und es für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, hat Michael Keiser mal erklärt.

„Der Platz lehrt uns so viel über Architektur“

Natürlich war der Visionär mit der Arbeit von Macdonald vertraut. Er hatte dem großen Mann in Bandon Dunes bereits ein 18-Loch-Denkmal namens Old Macdonald gesetzt – unzählige Spielwinkel, wilde Bunker, riesige Grüns – und wollte auch The Lido unbedingt aus den Nebeln der Vergangenheit holen. Als exaktes Ebenbild, von der Anordnung der Bahnen über die Formgebung der Features bis hin zu Bunkern und Hindernissen und der Ausrichtung an die auf Long Island vorherrschende Windrichtung.

„Der Platz lehrt uns so viel über Architektur“, schwärmte Keiser Senior damals. „Die Qualität des Designs ist auf jeden Fall einen Nachbau wert.“ Eigentlich sogar auf Long Island selbst, dort jedoch fand sich kein geeignetes Gelände. Schlimmer noch: Es gab nicht mal mehr eine Planungsgrundlage, keinerlei konkrete Daten oder detaillierte Entwurfszeichnungen. Und hier kommt Peter Flory ins Spiel.

Virtuelle Version per Computerspiel

Der Betriebswirt, Unternehmensberater und Hobby-Golfhistoriker aus Chicago hatte sich bei der Suche „nach was Kreativem“ als Ausgleich für die stressige Arbeit auf die Golfplatz-Architektur gestürzt und eine Art Fetisch für The Lido entwickelt. Auf Basis des spärlichen Bildmaterials rekonstruierte Flory in jahrelanger Kleinarbeit und mithilfe der Design-Software „The Golf Club“ Pixel für Pixel eine virtuelle Version des Platzes in 3D. Über seine Fortschritte informierte er im Forum des Fachportals „golfclubatlas.com“, das wiederum erregte die Aufmerksamkeit der Keisers.

 

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Die hatten nämlich inzwischen in Sand Valley ein passendes Areal gefunden und insgesamt 343 Hektar der ausgeräumten Agrarfläche für The Lido und die Renaturierung des Umfelds reserviert. Zwar rund 1.600 Kilometer vom ursprünglichen Standort Long Island entfernt, aber was soll’s. Mike Keiser und seine Söhne scheren sich nicht um Erreichbarkeit, verkehrsgünstige Lage, Einzugsgebiet, Infrastruktur. „Wenn wir von idealen Orten träumen, erwarten wir nie, dass sie einfach zu erreichen sind“, verdeutlicht Michael Keiser. „Es geht bei unserer Philosophie auch nicht ums Par, den Score oder gar die Anzahl der Löcher, sondern ausschließlich um die Qualitäten des Geländes.“ Wie gesagt: Build it and they will come.

Golf-Rohlinge von enormer Güte und Top-Architekten

Dafür brüten sie über Google-Maps-Ansichten, fahren mit dem Finger über die Landkarten, reisen in entlegenste Gegenden. Diamanten funkeln ja ebenfalls oft in ansonsten trostlosem Terroir. Um sie dort herauszubrechen und ihnen den notwendigen Schliff zu verpassen, gibt’s schließlich Fachleute. In diesem Fall eben Golfplatz-Architekten.

Und die Keisers haben nur die Besten. Das liegt nicht unbedingt am Honorar allein. Sondern vor allem daran, dass die Rohlinge stets von enormer Güte sind: Grounds for Golf, bei denen es selbst der Crème de la Créme in den Fingern kribbelt – einem Tom Doak, David McLay Kidd oder dem kongenialen Duo Bill Coore/Ben Crenshaw beispielsweise, die sich Sahnestücke normalerweise eh aussuchen können. The Lido haben Michael und Chris Keiser als Eigner von Sand Valley wieder Doak anvertraut, der schon Old Macdonald in Bandon Dunes verantwortet hatte und davon sprach, dass sein einziges Ziel sei, „die Reproduktion so genau wie möglich hin zu bekommen“.

 

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Wenn ein solcher Ausnahme-Architekt sich dieser Aufgabe stellt, dann ist das nicht zuletzt eine Verbeugung vor dem Genius von Charles Blair Macdonald (1855 – 1939), der in St. Andrews die Universität besucht, bei Old Tom Morris ein Praktikum absolviert und gegen Young Tom Morris Golf gespielt hat. Der sportlich und intellektuell Hochbegabte gewann 1885 die erste US Amateur Championship. Zwei Jahre zuvor hatte er dem von ihm gegründeten Chicago Golf Club den ersten 18-Loch-Platz der USA gebaut und anschließend als dessen Delegierter geholfen, den amerikanischen Golfverband USGA aus der Taufe zu heben.

Paradeplätze Shinnecock Hills und National Golf Links

In Macdonalds Œuvre finden sich Preziosen wie Mid Ocean auf den Bahamas (1921), Sleepy Hollow (1914) im US-Bundesstaat New York oder der Old White Course von The Greenbriar in West Virginia (1914). Seine Paradeplätze schuf er allerdings auf Long Island: Nebst The Lido sind das Shinnecock Hills (1916) in Southampton und vor allem die National Golf Links of America mit der historischen Windmühle als Wahrzeichen direkt nebenan. Dort hatte Macdonald bereits 1909 sein Konzept der idealen Golflöcher implementiert, und so diente das ikonische Geläuf als Einstimmung auf die Arbeit in Wisconsin – wiewohl Tim Doak anfangs nicht wusste, wie er eine Videospiel-Ansicht aus dem Computer in eine komplexe Golfplatzplanung umsetzen sollte. Aber auch dafür hat’s halt Experten.

Elektronische Zauberei und GPS-gesteuerte Maschinen

Was jetzt folgen müsste, ist eine langatmige technische Abhandlung über elektronische Zauberei, komplizierte Spezialsoftware, die Generierung von Plandaten aus 3D-Scans sowie über GPS-geführte und zentimetergenau arbeitende Bulldozer und Bagger. Geschenkt. Stattdessen sei erzählt, dass Doak und sein Team natürlich selbst noch Augenmaß und Hand angelegt haben, um dem seelenlosen Maschinenprodukt Leben einzuhauchen und die Handschrift des Meisters in den Nachbau von The Lido zu integrieren. Die Küste von Long Island imitierten sie übrigens durch die Anlage ortsgenau platzierter Seenlandschaften.

Das Ergebnis ist ein Design-Diorama in 18 Arrangements von fast expressionistischer Wirkweise, über das die Fotos und Bewegtbilder in diesem Beitrag mehr sagen als noch weitere tausend Worte.

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