Ob sein Erfolg für ihn überraschend ist, wird Yannik Paul derzeit öfter in Interviews gefragt. Er verneint das. Er weiß, was er kann, dass er im Prinzip jeden schlagen kann, und dass es beim Golf ja ohnehin eher darum geht, gegen sich selbst und gegen den Platz zu bestehen. Yannik sagt das sehr selbstbewusst, doch ohne eine Spur von Arroganz. Er habe einfach gelernt, dass es für ihn am besten funktioniert und er am erfolgreichsten ist, wenn er sich auf sich selbst, sein Spiel, seine Strategie für die Runde konzentriert und möglichst unbeeindruckt bleibt von dem, was um ihn herum passiert, sagt er.
„Ich habe eine Strategie für die Runde, und die habe ich mir deshalb so zurechtgelegt, weil ich denke, damit gebe ich mir die beste Chance, einen niedrigen Score zu spielen. Wenn ich nun während der Runde aufs Leaderboard schauen würde, hat das keinen positiven Effekt für mich, denn egal in welche Richtung es gerade geht: Wenn ich dann plötzlich meine Strategie verändern würde, würde ich vielleicht aggressiver spielen oder defensiver und dann Fehler machen, die ich sonst nicht mache.“
Aktuell ist er auf Platz 37 des DPW Rankings, zehn Plätze hinter dem derzeit bestplatzierten Deutschen Hurly Long. Nominell hat Yannik als größten Erfolg der laufenden Saison den zweiten Platz in Belgien zu verzeichnen, emotional sicherlich die Kombination aus T18 bei den PEO und der Qualifikation für die US Open, die vom 16. bis 19. Juni 2022 in Brookline, Massachusetts, stattfinden.
Von „Monnem“, wie man in der Pfalz zu Mannheim sagt, nach Boston - und dabei die Heimat in Deutschland, Mannheim-Viernheim, den einzigen Golfclub, in dem er bisher Mitglied war, und vor allem seine Familie stets im Herzen. Für Yannik ist insbesondere Zwillingsbruder Jeremy, der auf der Korn Ferry Tour spielt und mit dem er täglich telefoniert, eine feste Bank, seine Schwester, seine Eltern und Großeltern sowie seine Freunde in Deutschland sind ein großer und wichtiger Rückhalt.
Yanniks Freundin, die sich wie er sehr für mentale Stärke interessiert, unterstützt ihn in diesem Bereich besonders. Gemeinsam mit ihr hat er Anfang des vergangenen Jahres begonnen, regelmäßig zu meditieren, Atemübungen zu machen, positiv mit sich selbst zu reden. Die beiden sprechen viel miteinander über diesen Bereich und über die Kraft, die Yannik aus der mentalen Arbeit für den Profisport abrufen kann.
„Wenn es gut läuft, glaubt jeder an sich. Aber wenn es mal nicht so gut läuft, ist es wichtig, dass man immer noch den Glauben an sich selbst und seine Fähigkeiten hat. Auf jeder Runde gibt es Momente, in denen es kritisch wird und das Unterbewusstsein beginnt, mit Zweifeln gegen einen zu arbeiten. Da hilft es mir sehr viel, mich in diesem Bereich gut aufgestellt zu haben.“
Um sich optimal vorbereiten zu können auf sein erstes Major, hat der 28-Jährige die Teilnahme am Turnier in Schweden abgesagt und ist bereits am Tag nach dem PEO-Finale nach Colorado geflogen, seiner Homebase in den Staaten. So hat er ausreichend Zeit und Gelegenheit, sich von den letzten Wochen ein wenig zu erholen, sich zu akklimatisieren und dann in die Vorbereitung für das Event zu starten, das er nun schon in seinem ersten Jahr auf der DP World Tour auf der Liste seiner Ziele abhaken kann.
In Colorado, an der dortigen University of Colorado in Boulder, hat er bereits von 2013 bis 2018 Golf gespielt. Dort hält er nicht weniger als dreiundzwanzig Schulrekorde, war in seinem Abschlussjahr einer von zwei „Athletes of the Year“ und brach im selben Jahr den Saisonrekord, den zuvor sein Zwillingsbruder Jeremy hielt.
Hat Yannik Paul das Zeug zur neuen Identifikationsfigur im deutschen Golfsport? „Ich weiß gar nicht, ob es so etwas wie eine Identifikationsfigur überhaupt braucht“, kommentiert er meine Frage. Es sei doch super, dass derzeit so viele deutsche Spieler erfolgreich auf den Touren unterwegs seien. Dass das so ist, stimmt er zu, liege sicher zu einem beträchtlichen Teil an der hervorragenden Arbeit im Jugendbereich und an den Bedingungen, die im deutschen Golf in den letzten Jahren geschaffen wurden.
Eines von Yanniks Zielen für die laufende Saison ist, in den Top 50 im DPW Ranking abzuschließen, sodass er beim Finale in Dubai dabei sein kann. Sicher ganz „Monnem“ und Umgebung, hoffentlich aber auch der Rest des deutschen Golfsports, drücken ihm nun erst einmal für die US Open in Boston die Daumen!
Photo credits: Andy Crook