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„Ballerspiel“ Golf: Verbände sind alarmiert und brüten über Eingriffe

19. Nov. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Bryson DeChambeau feuert den Ball beim Abschlag (Foto: Getty)

Bryson DeChambeau feuert den Ball beim Abschlag (Foto: Getty)

Die gute Nachricht ist: Bryson DeChambeau hat Augusta National nicht zerlegt, obwohl er das ziemlich großspurig angekündigt hatte – siehe Par-67-Platz oder „Ich kann Tiger Woods Score von -18 aus dem Jahr 1997 knacken“. Was dann ja Champion Dustin Johnson erledigte, mit 20 unter Par sogar deutlich und ohne unangenehmes Getute im Vorfeld.

Abschneiden von BDC nur eine Momentaufnahme

Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass es nicht am Masters-Platz lag, der sich gegen die Granaten des Kraftmeiers aus Dallas gewehrt hat. Sondern dass DeChambeau zu wenig aus seinen langen Schlägen machte, die ihn oft bis dicht vors Grün führten – wenn sie denn passten. Oder wie er selbst sagte: „Ich habe zu viele Fehler gemacht.“

Die Sachwalter des Spiels haben genau hingeschaut. Und sie werden erkannt haben, dass DeChambeau zuvorderst an sich gescheitert ist, dass sich dies aber nur um eine Momentaufnahme handelt – erst recht, angesichts der Akribie und Besessenheit, mit der er an seiner Perfektionierung arbeitet.

Zyklus von Schlagdistanzen und Platzlängen beenden

Der „Mad Scientist“ ist freilich nur die – wenngleich extreme – Spitze des Eisbergs, der sich vor dem Bug des professionellen Golfsports auftürmt. Das Problem der Schlaglängen-Inflation schwelt seit langem und wird durch ihn nur exemplarisch pointiert. „Ich nutze lediglich die Möglichkeiten zu meinem Vorteil, die sich im Rahmen der Regeln ergeben. Mehr mache ich doch gar nicht“, betont DeChambeau zurecht. „Und ehrlich gesagt weiß ich eh nicht, wo letztendlich die Grenzen der Entwicklung sind.“

Genau diese wollen die Verbände alsbald neu definieren. Schon im Februar hat die USGA anlässlich ihres aktuellen Schlaglängen-Reports konstatiert, „dass Golf in den nächsten Jahrzehnten und darüber hinaus am besten gedeiht, wenn dieser Teufelskreis von Schlagdistanzen und Platzlängen beendet wird“.

„Dieser Weg führt in die falsche Richtung“

In der Schlussbemerkung des 16-seitigen Reports heißt es: „Größere Distanzen, längere Golfkurse, immer weiter nach hinten verlegte Abschläge und längere Spielzeiten führen in die falsche Richtung. Im Sinne der Zukunftsfähigkeit müssen die Stärken von Golf ausgebaut und der Einfluss der Schlagweiten geändert werden.“

Kurz: Die „Weisen“ aus New Jersey (USGA) und St. Andrews (R&A) fürchten um das Wesen des Spiels. Denn das besteht nun mal nicht aus Geballer, sondern aus Präzision, Strategie, Shot Making, Kurs-Management etc. Schlagfertigkeit statt Schlagstärke halt.

„Lange Kerls“ schlagen im Schnitt 283 Meter

Bislang konnten sich die Kurse mit dem sogenannten „Tiger Proofing“ noch gegen den Trend stemmen, den Woods durch seine Demontage von Augusta National vor 23 Jahren ausgelöst hat. Meist durch die Verschiebung von Teeboxen nach hinten – ein beliebtes, freilich angesichts des Raumbedarfs enorm teures Mittel. Gary Player hat schon vor Jahren dafür plädiert, einfach den Ball zu modifizieren, statt Millionen und Abermillionen für Umbauten auszugeben. Das Geld könne man besser in die Jugend investieren. Woods sagt selbst, dass USGA und R&A die Entwicklung verschlafen und ein rechtzeitiges Eingreifen verpasst hätten.

Mittlerweile jedenfalls hat die Expansion ihre Grenzen erreicht. Laut Schlaglängenreport erhöht sich die durchschnittliche Drive-Länge bei den Professionals pro Jahr um gut 90 Zentimeter, liegt aktuell bei 310 Yards (283 Meter) für die 20 ganz „langen Kerls“ und bei knapp 270 Metern für den Tour-Durchschnitt.

Deutlicher Anstieg der Drives über 290 Meter

Mehr noch: Der Anteil von Abschlägen, die jenseits der 290-Meter-Marke landen, hat sich in der ablaufenden Dekade gegenüber 2001 bis 2010 um ein Drittel erhöht. In den vergangenen drei Spielzeiten schlugen rund zehn Prozent aller Drives jenseits von 290 Metern ein, drei Mal so oft wie noch 2002.

Und an der Spitze der entsprechenden PGA-Tour-Statistik rangieren mit DeChambeau (337,8 Yards/308,8 Meter), Taylor Pendrith, Joaquin Niemann, Rory McIlroy, Cameron Champ, Dustin Johnson und Wyndham Clark gleich sieben Athleten, mit Durchschnittsweiten ab 321 Yards (293,5 Meter).

„Plätze wachsen nicht mehr mit, das ist nicht gut für Golf“

Auch wenn 2019 nur sieben der 20 „Längsten“ auf der PGA Tour und 5 aus 20 auf der European Tour ein Turnier gewonnen haben, hat die Entwicklung für den scheidenden USGA-Chef Mike Davis „einen Punkt erreicht, an dem wir sie stoppen müssen“. Distanz sei relativ, weil sie immer im Verhältnis zum Platz stehe. „Indes, die Plätze können der eindeutig anhaltenden Entwicklung auf Dauer nicht folgen, können nicht mehr mitwachsen. Das ist nicht gut für Golf“. Davis will noch nicht von einer Krise sprechen: „Aber wir haben definitiv ein Problem, das die Branche gemeinsam lösen sollte.“

R&A-Boss Martin Slumbers souffliert und wies kürzlich darauf hin, dass Golf zuvorderst auf ,Skills‘, auf Geschick, Können und Kunstfertigkeit beruhe, „nicht auf roher Gewalt“. Und: „Notfalls müssen wir das Verhältnis zwischen Fertigkeit und Technik neu ausbalancieren.“

Parcours-Monstrositäten von fast 7.500 Metern

Denn: Platz ist nun mal nicht unbegrenzt verfügbar, Verlängerungen erhöhen überdies Flächen- und Pflegekosten, verändern die Geometrie des ursprünglichen Layouts und nehmen trotzdem elementare Designelemente aus dem Spiel. Selbst Augusta National hat „Azalea“, seine zu kurz gewordene Par-5-13, noch nicht verlängert, obwohl die Granden in Grün dem direkt angrenzenden Augusta Country Club für Zig-Millionen Dollar eine Parzelle abgeschwatzt haben. Andererseits entstehen Monstrositäten wie der Eagle Nest Golf Club in Myrtle Beach/North Carolina, der unlängst auf 8.168 Yards (7.470 Meter) gezerrt wurde – wer soll das auf Dauer bezahlen.

Nun lässt sich trefflich argumentieren, dass es sich um eine Art Luxusproblem handele, fernab der täglichen Spielrealität von Otto Normalgolfer und seiner maximal 180-Meter-Abschläge. Das ist jedoch zu kurz gedacht. Die Causa „DeChambeau“ verändert den Charakter des Spiels und das Set-up von Plätzen, trifft auf Nachahmer, die rabiate Raketen spektakulärer finden als ziselierte Zauberschläge.

Ikonische Plätze werden zu Kanonenfutter

Und jedem Golfer, der nur halbwegs einen Sinn für die Großartigkeit ikonischer Plätze hat, muss es Tränen in die Augen treiben, wenn klassische Spielwiesen des Reizes ihrer Architektur beraubt und zu Kanonenfutter degradiert werden.

So wie im Fall von Augusta Nationals 13, auf der BDC nach einem ersten Versuch über Rechts, der im Pinienstreu endete, fürderhin auf der anderen Seite attackierte. Er schlug seine Drives in direkter Linie zum Grün über die Bäume, nahm damit das Dogleg nach links und Rae‘s Creek direkt aus dem Spiel. „Azaleas“ Schöpfer Dr. Alister MacKenzie dürfte sich im Grabe rumgedreht haben.

„Golf steht an einem Scheideweg“

Schon vor diesem 84. Masters hatte Clubchef Fred Ridley erklärt, dass Golf mit der aktuellen Entwicklung der Schlaglängen „am Scheideweg steht“. Er gehe davon aus, dass die Analysen und Überlegungen alsbald zu Ergebnissen und Verlautbarungen führen: „Ich bin sicher dass wir spätestens im April über konkrete Handlungsempfehlungen diskutieren werden.“

Der Möglichkeiten gäbe es einige. Beispielsweise, am Ball zu „schrauben“, was indes die ungeliebte „Bifurcation“ zur Folge hätte, eine Zweiteilung des Regelwerks zwischen Spitzen- und Hobbyspielern. Oder den Loft der Driver nach unten zu begrenzen, z. B. auf mindestens 8 Grad, um den Spin zu bewahren und dadurch die Länge zu reduzieren. Das würde immerhin keine Sonderregelung nötig machen.

Ball oder Loft – es muss was passieren!

Zur Klarstellung: Niemand will DeChambeau oder anderen Weitenjäger wie Matthew Wolff für die Vorteile bestrafen, die sie sich hart erarbeitet haben. Es geht lediglich darum, statt einzelner Abschläge sozusagen das gesamte Gefüge wieder um ein paar Meter nach hinten zu verrücken. Die Proportionen bleiben dennoch erhalten, Longhitter bleiben Longhitter und haben weiterhin ihre Vorteile.

Aber sie nehmen selbst richtig gute Plätze nicht mehr auseinander und Designelemente nicht mehr aus dem Spiel, die unabdingbar zum Kern und zur Faszination eben dieses Spiels gehören. Was auch immer entschieden wird, es muss definitiv was passieren.

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