Quo vadis, Tiger? Man kann die Frage eigentlich jedes Jahr stellen. Seit 2009. Als die außerehelichen Abschläge ans Licht kamen. Seit 2014, nachdem er im Jahr zuvor noch zur Hochform jüngerer Tage aufgelaufen war, ihn dann aber der malade Rücken außer Gefecht setzte. Seit 2019. Als er mit dem triumphalen fünften Masters und 15. Major alle Verfechter des „They Never Come Back“ eines Besseren belehrte und jene belohnte, die mantrahaft beschworen: Ihn, den GOAT, darf man niemals abschreiben.
Spätestens auf jeden Fall seit jenem verhängnisvollen 23. Februar 2021. Seit dem schweren Autounfall in Kalifornien, den der Superstar wie durch ein Wunder lebend überstand. Der ihn indes beinahe den zerschmetterten rechten Unterschenkel samt Fuß kostete und Woods’ weitere sportliche Karriere so aus der Bahn warf wie das SUV, hinter dessen Steuer er vermutlich kurz eingenickt war. Sekundenschlaf.
Quo vadis, Tiger: Ü50-Spielberechtigung und alles in Butter?
Nun ist dieser Eldrick Tont Woods 50 Jahre alt. Als Geburtszeit an jenem 30. Dezember 1975 ist 10.30 PM vermerkt, Geburtsort ist Long Beach/Kalifornien. Hierzulande war man dann schon einen Tag weiter. Und es bleibt dräuend wie so oft zuvor: Quo vadis, Tiger? Nein, nicht mal. Es kommen jetzt noch ein paar weitere Aspekte hinzu, die zwar nach wie vor Woods’ körperliches Befinden zum Kern haben, aber den Termin des „runden“ Geburtstags mit einiger Tücke würzen. Wie jetzt? Ist doch klar: Der 82-fache Tour-Sieger ist nun für die PGA Tour Champions spielberechtigt. Dort darf er im Cart über die Fairways zuckeln. Einfach so, ohne Sondergenehmigung. Also, alles in Butter.
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Woods wäre enorme Aufwertung für PGA Tour Champions
Mitnichten. Zwar reibt man sich beim Ü50-Circuit schon die Hände über den womöglichen personellen Zuwachs, der als Quoten-Garant und Fan-Mobilisator genau jene enorme Aufwertung und Aufmerksamkeit garantiert, die fürs TV- und Sponsoreninteresse am Senioren-Zirkel von geradezu existenzieller Notwendigkeit ist. Weil die bisherige Alimentierung seitens der PGA Tour fast dramatisch gedrosselt wird, die neuerdings von einem nüchternen, wenig sentimentalen Ex-American-Football-Sportmanager namens Brian Rolapp geleitet und von den knallharten kommerziellen Interessen der Investoren in den PGA Tour Enterprises getrieben wird.
„Es wäre aufregend, Tiger bei der Champions Tour spielen zu sehen, und ich bin überzeugt, dass er mehrere Turniere bestreiten wird. Er ist eine sehr spannende Persönlichkeit, und es wäre fantastisch für Tiger und für unsere Tour, wenn er hier antreten würde. Ich glaube, alle Spieler würden ihn willkommen heißen.“
Bernhard Langer
Der Pensionsfonds der PGA Tour Champions wurde bereits aus heiterem Himmel um zwei Millionen Dollar gekürzt. Außerdem hat der Circuit keinen TV-Partner und muss pro Turnierwoche 800.000 Dollar für Fernsehübertragungen stemmen.
„Wir sind bereit für den Tiger!“
Was Wunder, dass Miller Brady als Präsident der PGA Tour Champions schon vor geraumer Zeit eilfertig versicherte, alles sei arrangiert für Gastspiele des Tigers. „Wir haben einige Vorbereitungen getroffen. Wenn er kommt, sind unsere Turniere bereit. Security, Busse, Toiletten, Imbissstände – all das haben wir bei unseren Planungen berücksichtigt. Wir sind bereit für ihn.“ Könnte es doch bloß so einfach sein. Indes, die Komplikationen wären mannigfaltig.
„Bei jedem Treffen hoffen wir, dass er spielt. Wir sind uns alle einig, dass er vielleicht fünf Turniere spielen würde. Und wenn wir zehn aus ihm herausholen könnten, wäre das fantastisch. Wir hoffen aber auch, dass er im Fall eines Starts die Turnierleitung früher als am Freitagabend vor dem Turnier informiert.“
Steve Flesch, Player Director der PGA Tour Champions
Immerhin hofft Brady vor allem „einfach nur, dass Tiger wieder auf die Beine kommt und wieder Golf spielen kann“. Das hoffen sie allerdings gleichermaßen bei der PGA Tour in Ponte Vedra Beach. Dort weiß man ebenfalls nur zu gut um Woods’ Zugkraft – Scottie Scheffler hin, Rory McIlroy her – und wird diese nur sehr begrenzt mit den PGA Tour Champions teilen wollen. Wenngleich es ja in der Familie bliebe: Rolapp kann nicht wollen, dass reguläre PGA-Tour-Events von Senioren-Turnieren ins mediale Abseits gedrängt werden, weil dort Tiger Woods am Start ist.
Insperity-Werbevertrag und zeitgleiche Turniere
Nur ein Beispiel: Woods hat unlängst als Markenbotschafter bei Insperity angeheuert, das auf die digitale Verwaltung von Personalangelegenheiten spezialisiert ist. Überdies fungiert das Unternehmen als Titelsponsor des Insperity Invitational. Das Ü50-Turnier wird im Mai in The Woodlands in Texas ausgetragen. Zeitgleich findet auf der PGA Tour im Quail Hollow Club in North Carolina die Truist Championship statt, diesmal sogar als Signature Event und mit 20 Millionen Dollar dotiert.
„Als Freund von Tiger würde ich mich sehr freuen, wenn er wieder spielen und mit uns konkurrieren würde. Ich glaube, er würde viel Spaß dabei haben. Es liegt auf der Hand, dass er eine enorme Bereicherung für die Champions Tour wäre. Er würde viele Zuschauer anziehen, die kommen würden, um uns dabei zuzusehen, wie wir ein bisschen Spaß haben.“
Darren Clarke
Woods’ Werbevertrag mit Insperity enthält laut Insidern zwar keine aktive Startverpflichtung, aber allein ein öffentlicher Auftritt und irgendwelche Aktivitäten, beispielsweise Clinics, würden eine Menge Rampenlicht erzeugen. Und sollte der Superstar tatsächlich zum Turnier antreten, würde das vermutlich eine Massenflucht der Medien von Charlotte nach Houston auslösen.
„Albtraum-Szenario“ träfe auch LIV
Manche bei der PGA Tour haben derartige Konstellationen bereits als „Albtraum-Szenario“ bezeichnet. Auch bei der LIV Golf League erwartet man vermutlich mit einer gewissen Anspannung irgendwelche Antworten auf das „Quo vadis, Tiger?“. Immerhin laufen neun der bislang elf terminierten LIV-Events parallel zu Turnieren der PGA Tour Champions.
Es stellt sich freilich die Frage, ob der Tiger überhaupt an den Standardturnieren der PGA Tour Champions interessiert ist, wenngleich die bekanntermaßen nur über drei Tage gehen und er im Cart fahren dürfte. Der Terminkalender für das dritte Kapitel dieses einzigartigen Sportlerlebens ist ohnehin übervoll: die Aktivitäten als „graue Eminenz“ der PGA Tour und bei PGA Tour Enterprises, die mannigfachen geschäftlichen Unternehmungen und Business-Sport-Verquickungen, das karitative Wirken, nicht zuletzt die Vaterpflichten.
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Fokus auf Senioren-Majors …
Daher hat Woods vermutlich vor allem die Events seiner Buddys auf dem Plan: Steve Strickers American Family Insurance Championship und Furyk & Friends beispielsweise. Oder die Hoag Classic in Newport Beach/Kalifornien, zwei Wochen vor dem Masters – weil Woods immer gern betont, er brauche Spielpraxis.
„Ich habe gesagt: Bitte komm und spiel mit. Und ich denke, das kann nur gut für ihn sein. Er wird sich in Golfform bringen. Man kann ohne Scham mit dem Cart fahren, und wenn es einen gibt, der das Cart fahren darf, dann ist er es. Und er kann hier bei uns seinen Hintern wieder hoch bringen.“
Ernie Els
Ansonsten aber wird der Ü50-Neuzugang die Senioren-Majors anpeilen. Vor allem die seit 1980 ausgetragene US Senior Open. Mit einem Erfolg, wann immer, hätte Woods als erster Spieler der Golfgeschichte alle US-Top-Championships im Palmarès: US Junior, US Amateur, US Open und US Senior Open. Mehr noch: Eine weitere amerikanische Meisterschaft wäre Woods’ zehnte, damit würde er den legendären Bobby Jones überflügeln, der die US Junior, die US Amateur und die US Open ebenfalls drei Mal gewonnen hat. Solche Rekorde, zumal kaum noch zu übertreffende, sind das Stimulans und der Treibstoff für Woods’ Willensstärke.
… und das nächste Dilemma
Aber genau hier offenbart sich das nächste Dilemma. Die fünf Ü50-Majors sind Viertagesveranstaltungen und bieten nicht automatisch Carts. Woods müsste 72 Loch laufen – was er bekanntermaßen nicht mehr kann – oder sich für die Nutzung eines fahrbaren Untersatzes auf den Americans with Disabilities Act (ADA) berufen, der die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen garantiert. Was wiederum so gar nicht zu Woods’ Selbstverständnis passt, der bislang hartnäckig jedwede Medical Exemption für die PGA Tour ausgeschlagen hat.
Und sowieso wird Woods nur antreten, wenn er sicher ist, nicht nur mithalten, sondern gewinnen zu können. Erst recht bei den „alten Herren“, dieser Riege rüstiger „Rentner“. Aber wie sagte Tigers „kleiner Bruder“ Justin Thomas mal: „Wenn einer es schaffen kann, dann er.“