British Open

Van de Velde und sein Carnoustie-Kollaps: „Komplett verrückt geworden“

18. Jul. 2018 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland

Bei der Open Championship 1999 wurde der Franzose Jean van der Velde zur trgischen Figur. (Foto: Getty)

Bei der Open Championship 1999 wurde der Franzose Jean van der Velde zur trgischen Figur. (Foto: Getty)

Eine Open Championship in Carnoustie, das weckt Erinnerungen: An Bernhard Langers Senioren-Triumph von 2010, an Tom Watsons ersten von fünf Claret Jugs 1975, an das Play-off-Duell zwischen Padraig Harrington und Sergio Garcia 2007 – vor allem aber an den kolossalen Kollaps des Franzosen Jean Van de Velde, der Paul Lawrie über den Umweg eines Stechens zum unverhofften Champion Golfer of the Year 1999 machte. Van de Veldes „Kernschmelze“ auf Carnousties Schlussbahn gilt als dramatischster Blackout der Sportgeschichte. Der damals 33-Jährige hatte den Sieg schon in der Tasche, musste bloß noch seinen Drei-Schläge-Vorsprung über 445 Meter ins Clubhaus retten, konnte sich sogar ein Doppel-Bogey leisten. Indes, er agierte wie von allen guten Geistern verlassen, ein möglicher Triumph geriet zum Trauma.

Temporäre Hirnlosigkeit

Alle Welt spricht immer von einem Kollaps Van de Veldes. Doch es war beileibe nicht nur ein Einbruch, vielmehr ein unselige Mischung aus Stolz, Temperament und – sorry! – temporärer Hirnlosigkeit. Der Franzose, eigentlich eher ein Statist der Szene, spielt eine wackere Schlussrunde, kommt mit drei Schlägen Vorsprung auf den 18. Abschlag. Man sagt freilich, selten hat‘s im Golf ein komplizierteres Schlussloch als dieses Par 4: Drei Mal wird „Home“ vom Barry Burn gekreuzt, in der Landezone umschlingt der Bach das Fairway, droht rechts wie links, vereinnahmt zu kurze Abschläge und hütet später das Grün gegen unpräzisen Anspiele.

Blankes Entsetzen bei Zuschauern

Am Tee trifft Van de Velde die erste falsche Entscheidung, wählt den Driver und feuert den Ball mit all seiner adrenalinbefeuerten Aufgeregtheit rechts raus, in den „First Cut“ der Bahn 17, nahe den Mitgliederabschlägen. Dies war der Auftakt eines golferischen Alptraums von 27 Minuten Länge. Statt den Ball quer aufs richtige Fairway zu pitchen, greift der „Journey Man“ mit einem Eisen 4 das 173 Meter entfernte Grün an. Ja, der Ball liegt gut, aber vor allem möchte Van de Velde „diese 128. Open nicht mit Sicherheitsgolf gewinnen“.

Das Unheil nimmt seinen Lauf: Die Kugel quert den Bach, prallt gegen das Gerüst der Tribüne und zurück, knallt auf die steinerne Begrenzung des Barry Burn und verschwindet im tiefen Rough, 58 Meter jenseits der Fahne. Spätestens als der Franzose den Ball aus dem knietiefen Gras in den Barry Burn schlägt („Es war eine wirklich hässliche Lage“), herrscht auf dem Platz und vor den Fernsehern blankes Entsetzen. „Wenn ich einen Schlag noch mal machen könnte, dann wäre es dieser“, wird Van de Velde später zu seinem neuerlichen Aussetzer sagen.

Im Gegenzug größtes Major-Finalrunden-Comeback

Scheinbar minutenlang steht er anschließend barfuss und mit hoch gekrempelten Hosenbeinen im Wasser und starrt auf den Ball. „Jetzt ist er komplett verrückt geworden“, stöhnte BBC-Kommentator Peter Alliss in sein Mikrofon, dann entscheidet sich der Akteur doch für den Drop. Ein Pitch, dazu sein üblicher Ein-Putt – und es wäre immer noch der erste französische Open-Sieg seit Arnaud Massy 1907.

Doch Van de Velde patzt wieder, trifft den Bunker. Das Sandwedge schließlich bringt den Ball bis auf gut zwei Meter an die Fahne und der Putt zur Sieben den Unglücksraben wenigstens ins Vier-Loch-Stechen mit Justin Leonard und Paul Lawrie. Das verliert Van de Velde eigentlich schon auf der 15 mit einem Abschlag in den Ginster. Statt seiner wird Lawrie als erster schottischer Open-Sieger seit Willie Auchterlonie 1893 gekürt, zu Beginn des Tages war er noch zehn Schläge hinten und feiert dann das größten Finalrunden-Comeback der Major-Geschichte.

Zusammenbrüche auf Augusta National

Gegen Van de Veldes Carnoustie-Kollaps wirken andere Zusammenbrüche allenfalls wie Sekundenschlaf, wobei auch der bekanntlich tragische Folgen haben kann. So sagt man, dass sich Greg Norman nie wirklich vom Debakel beim Masters 1996 erholt hat, als der „Große Weiße Hai“ aus Australien mit sechs Schlägen Vorsprung auf Nick Faldo einem Start-Ziel-Sieg entgegen spielte. Dann verlor er auf den ersten sieben Löchern von Augusta National bereits zwei Schläge und ließ auf den nächsten fünf Bahnen weitere fünf Schlagverluste folgen. Am Ende war es eine 78 und Faldo siegte mit fünf Schlägen Vorsprung. Norman hingegen hat das Masters nie gewonnen.

Wenn so was ein Omen sein soll, dann bleibt auch Rory McIlroys Traum vom Karriere-Grand-Slam genau dies. 2011 ging der Nordire mit vier Schlägen auf seine Verfolger in den Sonntag und vergeigte das Finale per Triple-Bogey auf Loch 10 und Vier-Putt zum Doppel-Bogey auf der 12 nach allen Regeln der Kunst. Die 80 warf „Rors“ auf Platz 15 zurück, während der Südafrikaner Charl Schwartzel in jenem Jahr sein bislang einziges Major gewann.

Bloß ein Par hätte zum ersehnten Titel gereicht

Apropos Karriere-Grand-Slam: Der ewige US-Open-Zweite Phil Mickelson war 2006 in Winged Foot vielleicht am dichtesten dran – bis der als geteilter Führender ins Finale gegangene „Lefty“ auf dem Par-4-Schlussloch seinen Drive derart nach links semmelte, dass der Ball an einem Hospitality-Zelt zwischen den Bäumen landet. Von dort versuchte Mickelson, das Grün zu erreichen, traf aber einen Baumstamm und schaffte lediglich 23 Meter. Der dritte Schlag landete in einem Grünbunker, der Schlag aus der Spiegelei-Lage beförderte den Ball ins Rough jenseits des Grüns, der anschließende Chip zum Bogey rollte fast zwei Meter übers Loch hinaus. Durch das Doppel-Bogey schaffte es „Phil the Thrill“ nicht mal in ein Stechen mit dem späteren Sieger Geoff Ogilvy. Dabei hätte ein schlichtes Par zum ersehnten US-Open-Sieg gereicht.

Masters-Titelverteidigung in Rae‘s Creek versenkt

Das halbe Dutzend Blackouts wird komplettiert durch Adam Scott, der 2012 in Royal Lytham & St Annes mit sechs Schlägen Vorsprung zur Finalrunde antrat, auf den vier Schlusslöchern komplett einbrach und Ernie Els den zweiten Gewinn einer British Open schenkte. Nur eines Lochs hingegen, der berühmten „Golden Bell“ mitten im Amen Corner von Augusta National, bedurfte es 2016, um alle Hoffnungen von Jordan Spieth auf eine Masters-Titelverteidigung endgültig zu begraben. Der Texaner hatte vom ersten Tag an geführt, verlor jedoch im Verlauf einer desaströsen Back Nine sechs Schläge, vier alleine, weil er auf der 12 zwei Bälle in Rae‘s Creek versenkte. Im grünen Sakko grüßte anschließend Danny Willett.

Und die Moral von der Geschicht‘: Klare Führung schützt vor Major-Drama nicht!

Jean van der Veldes Kollaps bei der Open Championship


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