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Debatte um ausufernde Drive-Distanzen: Geht‘s der Kugel an den Kragen?

22. Nov. 2020 von Michael F. Basche in Köln, Deutschland - Dies ist ein Golf Post Premium Artikel

Geht es dem Golfball bald an den Kragen? Noch fliegt er, so weit er kann. (Foto: Getty)

Geht es dem Golfball bald an den Kragen? Noch fliegt er, so weit er kann. (Foto: Getty)

Niemand weiß genaues nicht. Im stillen Kämmerlein brüten die Sachwalter des Spiels über dem Tabubruch. USGA und R&A haben die ausufernden Drive-Distanzen als bedrohliche Entwicklung auf ihre Agenda gesetzt, fürchten einen schädlichen Einfluss auf Charakter und elementare Aspekte des Spiels, die laut R&A-Chef Martin Slumbers vor allem „Geschick, Können und Kunstfertigkeit“ erfordern, „nicht rohe Gewalt“.

Kurz: Platz-Architektur und Kurs-Design werden allmählich obsolet, mithin gleichermaßen die „alten Meister“ auf der Golf-Landkarte, angefangen beim Old Course in St. Andrews. Golf droht zum Long-Drive-Wettbewerb mit anschließendem Pitch&Putt-Contest zu verkommen, wenn das mit den Schlaglängen so weiter geht. „Notfalls müssen wir das Verhältnis zwischen Fertigkeit und Technik neu ausbalancieren“, stellte Slumbers unlängst klar.

Eingriff in den „Maschinenraum“ des Spiels

Was sich diesbezüglich anbahnt und weithin für kommenden April erwartet wird, stellt Korrektive wie das Anchoring-Verbot oder die Limitierung des Trampolin-Effekts weit in den Schatten. Es wird ein regelrechter Eingriff in den „Maschinenraum“ der Weitenjagd, in die Schnittstelle der Energiefaktoren, die einen Bryson DeChambeau, Matthew Wolff und Cameron Champ mittlerweile regelmäßig Weiten deutlich jenseits der 300-Meter-Marke erreichen lassen. Drei Dinge braucht‘s für den „Big Bang“ vom Tee: Physis und Athletik der Spieler, die unbeeinflussbar sind; Spezifikation und Gestaltung des Schlägermaterials; Ballistik des Balls.

„Wir sehen nie für möglich gehaltene Dinge“

Letzterer scheint das schwächste Glied der Kette. Daher vermuten viele, dass es der Kugel an den Kragen geht. Jack Nicklaus beispielsweise glaubt, dass an einem Golfball getüftelt wird, der umso allergischer reagiert, je höher die Schlägerkopfgeschwindigkeit beim Impact ist – wie auch immer das technisch machbar sein könnte.

„Wir sehen derzeit Dinge, die wir nie für möglich gehalten hätten. Die aktuellen Longhitter sind an einem ruhigen Tag in der Lage, neun Grüns des Old Course mit dem Driver zu attackieren“, sagte Gary Player am Donnerstag vergangener Woche nach dem „Ceremonial Tee Shot“ zur Eröffnung des 84. Masters im Augusta National Golf Club: „Der Ballflug muss und wird eingeschränkt werden.“

Parallelen zu „Gutty“ und Haskell

Historisch gesehen mag das mit der Kette und dem schwächsten Glied stimmen. Als Mitte des 19. Jahrhunderts der in hohen Stückzahlen produzierbare Guttapercha-Ball und später der gewickelte Haskell aus industrieller Massenfertigung (ab 1899) die Fairways eroberten, war das in wirtschaftlicher Hinsicht ein Meilenstein der Golfentwicklung, weil die Murmeln deutlich preisgünstiger waren, als der aufwändig gefertigte und schnell hinfällige Featherie.

Gleichzeitig markierte es als technologische Revolution einen Wendepunkt in der Art, wie Golf gespielt wurde. Ein Haskell ließ sich gegenüber dem „Gutty“ noch mal locker 40 bis 50 Meter weiter schlagen und nahm die Hindernisse der frühen bestrafenden Gestaltung von künstlich angelegten Golfparcours (Penal Design) endgültig aus dem Spiel. Immerhin führte seine „zerstörerische“ Wirkung letztlich zum „Goldenen Zeitalter der Golfplatz-Architektur“.

Neuer Ball, neue Designphilosophie

In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts ließen sich Kurs-Künstler wie Dr. Alister MacKenzie, Harry S. Colt, Donald Ross oder Albert W. Tillinghast – um nur einige wenige zu nennen – vom strategischen Genius Loci des Old Course inspirieren, dachten das Design eines Golfplatzes neu und schufen in der Folge Ikonen von vermeintlich zeitlos unangreifbarer Größe: Cypress Point, Royal Melbourne, Augusta National; Sunningdale, Royal Portrush, Pine Valley; Pinehurst No2., Aronimink, Oakland Hills; Baltusrol, Winged Foot, Bethpage …

Schon Bob Jones schlug 300-Yards-Drives

Doch schon damals zeigte sich die Halbwertzeit der Herausforderung. Bob Jones Jr., der einzigartige Amateur und Grand-Slam-Gewinner, beispielsweise war durchaus in der Lage, Drives von bis zu 340 Yards (310 Meter) rauszufeuern und dann lediglich mit einem Wedge die Fahne anzupeilen – für damalige Verhältnisse so weit jenseits der landläufigen Vorstellungen wie heute DeChambeaus Hiebe mit dem Holz. Der USGA schwante Übles. Ihrem Credo von der „Offenen Amerikanischen Meisterschaft“ als härtestem Test im Golf drohte unter den Granaten von Jones und Co. die Implosion.


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USGA hat den Ball schon mal modifiziert

1931 entschloss sich der Verband zu einer Zäsur. Im Alleingang, also ohne den R&A, der seinen etwas kleineren und schwereren britischen Ball bis 1990 protegierte, wurde der Durchmesser der Murmel auf das bis heute gültige Mindestmaß von 42,67 Millimetern erweitert, das Gewicht indes auf 43,94 Gramm reduziert. „In erster Linie soll mit dem neuen Ball der ,Hype‘ um die Weiten beendet werden, für den bereits einige Kurse auf 7.000 Yards verlängert werden mussten“, hieß es damals.

Dieses erste „Roll Back“ des Balls wurde dann nach einem Jahr erneut modifiziert und das nach wie vor gültige Gewicht von 45,92 Gramm festgelegt.

Old Course hätte nach „DeChambeau“-Rating ein Par von 67

Wie die Schlaglängen Maßstäbe verändern, zeigt das Beispiel Oakmont Country Club, seit Golfergedenken Inbegriff eines brutalen US-Open-Kurses. Bei seiner Eröffnung 1903 war das Geläuf für einen Standard von 80 Schlägen konzipiert, heute ist es ein Par-71-Platz.

Und würde man dem Old Course auf Basis aktuell darstellbarer Distanzen eine Art „DeChambeau“-Rating verpassen, dann hätte die Alma Mater aller Golfplatz-Designer, die was auf sich halten, maximal eine Par-5-Bahn, aber sechs Par-3-Löcher und käme bloß auf ein Par von 67.

BDC und Wolff führten Winged Foot förmlich vor

Bis vor einigen Wochen galt Winged Foot ebenfalls als Bollwerk wider die Bomber; der Superintendent des Traditionsensembles im US-Bundesstaat New York bürstete den West Course in gewohnter Manier mit schmalen Fairways plus feistem Rough auf biestig und prognostizierte einen Siegerscore von +8.

Dann kamen DeChambeau und Wolff, der für seine 54-Loch-Führung an drei Tagen gerade mal zwölf Fairways getroffen hatte, pfiffen auf schmale Bahnen sowie ballschluckende Flanken und gaben mit ihrer Hau-drauf- und Hack-raus-Strategie Tillinghasts Schmuckstück und gleichermaßen das US-Open-Paradigma der Lächerlichkeit preis.

9.000-Yards-Plätze sind keine Dauerlösung

DeChambeau holte sich das Major, obwohl er lediglich 23 von 56 Fairways traf, schaufelte seine verirrten Bälle scheinbar mühelos aus Lagen im grünen „Sumpf“, „für die es eher eines Kompasses denn eines Yardage Books bedurfte hätte“ („Golf Digest“) und lag schließlich 6 unter Par – aberwitzige Abschläge hatte man erwartet, mit diesem Ausgang allerdings nicht gerechnet.

So, wie 1931 absurde Platzlängen von 7.000 Yards (6.400 Meter) moniert wurden, sehen heute die Auguren des Sports unweigerlich den 9.000-Yards-Kurs (8.230 Meter) kommen, um mit der Schlaglängen-Entwicklung Schritt zu halten.

Mindest-Loft für Driver als simplere Lösung?

Doch ohne Modifikationen des Balls oder einer womöglich deutlich einfacher zu realisierenden Definition des Mindest-Loft für Driver – um die Bälle über den Spin einzubremsen – dürften die Regelhüter in diesem Rennen alsbald erneut wie lahme Enten aussehen.

Denn „wir werden diese Burschen bald 500 Yards weit schlagen sehen, erst recht mit den ganz langen Drivern“, prophezeit Gary Player: „Diese Aussichten sind erschreckend.“

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