Marcel Siem

Marcel Siem: „Wenn es um die Wurst geht, spiele ich am besten“

28. Feb. 2016 von Juliane Bender in Köln, Deutschland

Neuer Schwung, neuer Fokus, neues Team: Marcel Siem will's jetzt wirklich wissen. (Foto: Getty)

Neuer Schwung, neuer Fokus, neues Team: Marcel Siem will's jetzt wirklich wissen. (Foto: Getty)

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Marcel Siem will es noch einmal wissen. Der Rheinländer ist einer der wenigen "Charakterspieler"auf der Tour; einer, der sich nicht verstellt und Golffans durch seine außergewöhnliche Art zu spielen und sein authentisches Auftreten im Gedächtnis bleibt. Viele Erfolge pflasterten seinen Weg, doch auch Enttäuschungen und verpasste Ziele musste er verarbeiten.

Mit 35 Jahren schlägt Siem jetzt noch einmal ein neues, sicherlich richtungsweisendes Kapitel in seiner Karriere auf. Im Interview mit Golf Post spricht Marcel über die Trennung von seinem langjährigen Coach Günter Kessler, sein neues Team, seine Schwungum- und mentale Neuaufstellung, an denen er zur Zeit arbeitet. Denn Siem hat noch beachtliche Ziele für die kommenden Jahre, und ein Major-Sieg steht für ihn - trotz Olympia - über allem. Ein Gespräch über gute alte Zeiten und den Balanceakt des Wandels - Stichwort: Pferdeschwanz.

Golf Post: Marcel, Du und Dein Trainer Günter Kessler habt Euch Ende letzten Jahres getrennt und seither arbeitest Du an einer Schwungumstellung. Was genau hast Du geändert?

Marcel Siem: Ich verlagere mein Gewicht im Rückschwung mehr auf mein rechtes Bein, wodurch ich schon im Rückschwung aufrechter bin. Das Heftigste war aber eigentlich meine Griffumstellung, an der ich mit Günter Kessler schon seit Jahren gearbeitet habe. Ich habe immer sehr viel Unterarmrotation gehabt beim Takeaway, sodass die Schlagfläche aufgegangen ist. Zum Impact musste ich dann die Schlagfläche wieder irgendwie square bekommen – und das braucht natürlich alles sehr viel Gefühl. Mein Talent hat mir bestimmt dabei geholfen das hinzubekommen. Aber Fakt ist, dass es unter Druck mal geklappt hat und mal nicht. Seit der Umstellung greife ich mit meiner rechten Hand anders; sie ist jetzt viel neutraler.

Golf Post: Mental hast Du auch einiges umgestellt.

Marcel Siem: Ja, wir arbeiten daran, dass ich einfach ruhiger werde... Zu viel möchte ich auch gar nicht erzählen, was man da so macht. Aber ich sag mal so, der Schlag selber hat nicht mehr so viel Impact für mich. Meine Emotionen und emotionalen Ausbrüche resultieren nicht mehr aus jedem einzelnen Schlag. Ich sehe das große Ganze jetzt mehr. Und versuche im Prozess zu bleiben und das zu fokussieren, wo ich hin möchte. Ich möchte Majors gewinnen, und darauf fokussiere ich mich. Jeder Tag und jede Golfrunde ist ein Stück, das dazugehört und das muss ich einfach bestmöglich meistern. Das nimmt mir so ein bisschen den Druck.

Golf Post: Bei der Joburg Open gab es eine Situation mit dem Referee, die für Dich vorübergehend einen Strafschlag bedeutete. Wie hast Du diese Situation verdaut? 

Marcel Siem: In dem Moment habe ich Atemtechnik benutzt, um runterzufahren. Weil man natürlich schon ein bisschen angenervt ist. Ich war selber überrascht, wie ruhig ich geblieben bin. Also das hat auf jeden Fall etwas mit der mentalen Arbeit zu tun. Ich muss aber auch sowieso versuchen, so ein bisschen meinen Stresspegel runterzufahren. Ich habe immer gesagt, ich wäre vielleicht lieber Boxer geworden. Oder beim Tischtennis kann ich meine Emotionen auch immer ein bisschen besser rauslassen, wenn man einen einzelnen Gegner hat. Aber ich liebe Golf über alles... und als Golfer muss man sich runterfahren können. Daran arbeite ich momentan und auch die neuen Erfahrungen machen sehr viel Spaß.

Golf Post: Man hört in letzter Zeit häufig von Dir, dass es wieder Spaß macht.Was hat vorher gefehlt, was jetzt wieder da ist?

Marcel Siem: Wenn man so hart trainiert wie ich im gesamten letzten Jahr und man kriegt keine guten Ergebnisse rein und verpasst so viele Cuts auf einmal, dann kommt man natürlich unter Druck. Ich war so nah an den Top 50 (der Weltrangliste und an der Masters-Qualifikation 2015, Anm. d. Red.)... Und dann diese ganzen Gedanken, die man auf einmal hat, die immer gleichen Fragen der Medien „Warum und wieso?“ und die Leute mit ihrem „Was ist denn mit dem Siem auf einmal los?“... Grundsätzlich tangiert mich sowas nicht. Aber irgendwann, wenn die Ergebnisse immer schlechter werden, tangiert es mich dann doch. Ich bin ja auch nicht aus Stahl. Nun dann habe ich im letzten Jahr die Entscheidung getroffen etwas zu ändern. Und tatsächlich: Jetzt, mit 35 Jahren, schlage ich den Ball weiter als ich ihn mit 28 geschlagen habe. Sowas ist schon ganz cool, das ist ein gutes Zeichen. Durch diese ersten für mich sichtbaren Erfolgserlebnisse und die Arbeit mit Jim (Jim Murphy, Mentalcoach, Anm. d. Red.) habe ich auch wieder mehr Spaß am Golf. Ich sehe andere Sachen. Ich weiß, dass ich gut bin, ich habe meine Ziele und ich weiß, dass ich dort hinkomme – es ist einfach nur eine Frage der Zeit.

Golf Post: Wenn Du sagst, Du hast alles auf die Probe gestellt: Hast Du auch am Equipment etwas geändert?

Marcel Siem: Nö, nö. Ich bin bei Wilson geblieben. Da bin ich sehr zufrieden, ich habe bei Wilson meine Freiheiten. Die Eisen sind sensationell, genau wie die Hölzer und der Putter. Ich kann das machen, wie ich möchte.
Ich freue mich jetzt auf die neuen Driver und Hölzer von Wilson. Die werde ich in den nächsten Wochen mal testen. Allerdings bin ich auch vertraglich an TaylorMade gebunden, was den Driver angeht. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt.

Golf Post: Die Produktzyklen vieler Hersteller sind relativ kurz. Wie oft wechselst Du Dein Equipment?

Marcel Siem: Eigentlich gar nicht so gerne, muss ich ehrlich sagen. Bei Wilson bin ich ganz happy, dass die Zyklen nicht so extrem sind wie bei anderen Firmen, wo man teilweise fast gezwungen wird, den neuen Driver auszuprobieren, der alle drei Monate rauskommt...
Wenn ich einen Driver sehe oder die neuen Eisen von Wilson, klar probiere ich die mal. Aber da müssen die schon extrem überzeugen, dass man da wirklich komplett das Set wechselt. Der Typ bin ich eigentlich nicht.

Golf Post: Unter welchen Bedingungen spielst Du Dein bestes Golf?

Marcel Siem: Sonntags, wenn es um die Wurst geht. Da bin ich gut. Ich muss noch dran arbeiten, dass ich ins Turnier reinkomme. Sobald ich vorn dran bin und die Chance habe ein Turnier zu gewinnen, dann habe ich die letzten Jahre auch gezeigt, dass ich es durchgezogen habe. Sonntags macht es richtig Bock, da muss die Konzentration voll da sein. Dieser Donnerstag und Freitag hingegen... Da muss ich noch ein bisschen dran arbeiten.

Golf Post: Woran arbeitest Du im Training akribischer: an Deinen Stärken oder an Deinen Schwächen?

Marcel Siem: Also momentan arbeite ich weiter an der Technikumstellung. Da bin ich noch nicht da, wo ich hin muss. Dann werde ich an meinen Wedges arbeiten müssen, die waren zuletzt noch nicht gut. Und ich würde liebend gerne an meinem Putten üben, aber das ist in Deutschland fast unmöglich. Es gibt nirgendwo Grüns, die annähernd Tourstandard haben, zumindest bei mir in der Gegend nicht. Deswegen werde ich jetzt auch wieder ein Trainigslager in Florida einlegen. Aber das sind so die Schwerpunkte: Driven, Putten und Wedges. Denn meine Eisen sind immer gut.

Golf Post: Wie sehr kann man Putten wirklich trainieren?

Marcel Siem: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe ein Jahr lang mit Phil (Phil Kenyon, Puttingcoach, Anm. d. Red.) gearbeitet. Er hat sich so viel Mühe gegeben und ich habe am Ende des Jahres echt ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich zwar noch nie so viel an meiner Putttechnik gearbeitet, aber immer schlechter geputtet habe. Dann habe ich mir gesagt: Jetzt reicht’s. Mit meinem neuen Caddie (Brian Martin, Anm. d. Red.) habe ich stattdessen einfach ein paar Drills auf dem Puttinggrün gemacht. Das machen wir jetzt die ganze Zeit, dass ich wirklich im Kreis ums Loch herumspiele. Weil sich der Break jedes Mal verändert und sein Gefühl und sein Zielen automatisch schult. Das hat mir am meisten gebracht.
Im Endeffekt baue ich dadurch Selbstvertrauen auf, lerne anständig zu zielen, denn sonst loche ich den Putt nicht. Man puttet einfach aggressiver mit mehr Selbstvertrauen. Ohne nachzudenken, ohne Probeschwung, ohne Technikgedanken oder sowas. Es hat mir am meisten gebracht, wieder mehr auf mein Gefühl zu achten und auf viele Wiederholungen zu setzen.

Kleines Video für euch vom Flutlicht Training heute Abend!!! Little Video Of my Floodlight practice!!!#ADChamps

Posted by Marcel Siem on Dienstag, 19. Januar 2016

Golf Post: Du bist eher ein impulsiver Typ. Was denkst Du über die ruhigen Charaktere, die die Touren inzwischen dominieren?

Marcel Siem: Ich finde Jordan Spieth super nett und Rory sowieso. Aber es hat sich alles sehr verändert. Die Charaktere, die wir damals hatten, Sam Torrance zum Beispiel, die ganzen Bekloppten, die an der Bar saßen und sich einen Drink nach dem anderen reingeknallt haben, so etwas gibt es nicht mehr auf der Tour. Der Flair geht schon ein bisschen fliegen... Jimenez und Thomas Björn, so viele Jahre werden die auch nicht mehr da sein. Ich glaube, es wäre schon wichtig, dass wir ein paar Charaktere behalten oder dass wieder neue kommen.

Was ist mit Dir selbst?

Marcel Siem: Ich werde immer so bleiben, wie ich bin. Mein Pferdeschwanz wird wahrscheinlich auch wieder zurückkommen, ich fühle mich unwohl mit den kurzen Haaren. Den züchte ich gerade schon wieder. Ich werde immer so Golf spielen, wie ich Golf gespielt habe. Ich werde nicht total ruhig sein und immer nur lachend über den Golfplatz rennen. Man denkt ja immer, ich bin total grumpy oder ein total schlecht gelaunter, arroganter Typ. Das bin ich aber gar nicht, wenn die Leute mich dann mal nach der 18 sehen, dann lache ich eigentlich sehr, sehr viel. Auf dem Platz fällt es mir nur teilweise etwas schwer, meine Zähne mal etwas zu zeigen, im positiven Sinne.

Nicht nur Dir offenbar: Es fällt auf, dass immer weniger Leute auf der Tour Emotionen zeigen. Woran liegt das?

Marcel Siem: Das ist die ganze mentale Arbeit. Mein Coach sagt mir auch ständig, dass Leute einem das nicht ansehen sollten, ob man einen guten oder schlechten Schlag gemacht hat. Das versuche ich natürlich auch mal ab und zu hinzubekommen.

Warum rät er das? Weil es einen selbst runterzieht, wenn man Ärger zulässt?

Marcel Siem: Genau, weil einen das selber runterzieht. Und Du motivierst Deine Mitspieler. Wenn man selber mal ausrastet, spielt der Mitspieler auf einmal viel besser und macht nur noch Birdies, weil ihn das aufbaut. Und für einen selber bewirkt es, dass man von der Vergangenheit nicht loslässt. Stattdessen muss man versuchen, in der Gegenwart zu bleiben. Klar kann man sich kurz aufregen, wichtig ist aber, dass es dann weitergeht. Das ist auch das, was ich bisher immer gut gemacht habe. Aber teilweise kannst Du nicht loslassen von dem Dreiputt, den Du verzogen hast. Und dann nimmst Du es in den nächsten Schlag mit.
Wenn Du aber von Anfang nicht zulässt, dass es sich zu sehr in beide Richtungen - Begeisterung oder Verärgerung – bewegt, wird es einfacher, diesen Pegel zu halten und nicht zu viel Energie zu verlieren. Ich glaube daran. Ich werde es wahrscheinlich in meinem Leben nie genauso umsetzen können wie andere Golfer, die sowieso ruhig sind. Aber: will ich auch gar nicht. So ein bisschen verbessern in die Richtung und trotzdem meine Emotionen zeigen ist schon ganz gut.

Wenn sich auf der Runde um Dich herum die Kameraleute mehren, was macht das mit Dir und Deinem Spiel?

Marcel Siem: Das macht mir tierisch viel Spaß. Dafür machen wir das ja alle. Dass ist der Kick, den jeder bei seiner Arbeit bekommt, wenn er seine Arbeit liebt.
Wenn man morgens früh, am Samstag oder Sonntag um 6:30 Uhr als erster auf die Runde geht, wenn es gerade hell wird, kein Schwein ist da ist und Du versuchst, einfach nur so schnell wie möglich über die Runde zu kommen, dann macht das nicht so viel Spaß. Aber wenn man rauskommt und man hat fünf- bis zehntausend Zuschauer und die Kameras sind wieder da, dann wird man ein bisschen nervös. Dann ist es eine Kunst, wie man mit der Nervosität umgeht. Das ist das Geile, dafür spiele ich Golf.

Vielen Dank für das Gespräch, Marcel!

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