Golftraining

Differenzielles Lernen im Golf

23. Nov. 2015 von Oliver Felden in Köln, Deutschland - Artikel wird präsentiert von BAL.ON

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Heiliger Grahl oder völliger Humbug? Die Trainingswissenschaft diskutiert Differentielles Training sehr kontrovers. (Foto: Getty)

Heiliger Grahl oder völliger Humbug? Die Trainingswissenschaft diskutiert Differentielles Training sehr kontrovers. (Foto: Getty)

Ein ganz normaler Samstagvormittag auf der Driving Range, die bei angenehmem Wetter gut gefüllt ist. Aufgereiht in den geradlinig nebeneinander angeordneten Abschlagmatten und -boxen stehen die, wie man es den Gesichtern ablesen kann, teils sehr ambitionierten Golferinnnen und Golfer über ihrem Ball: Rückschwung - Durchschwung - Finish - und noch bevor der Ball den höchsten Punkt seiner Flugparabel erreicht hat, senken sich Blick und Schläger.

Schnell wird der nächste Ball aus dem Korb gekratzt und das Spiel beginnt von vorne. Und nochmal - noch zehnmal - an einem freien Tag und mit Range-Ball-Flatrate ausgestattet auch 100-mal, 200-mal. Die Gedanken sind bei vielen die gleichen: War der Griff ideal? Ist der Abstand richtig? War ich auf der optimalen Ebene? Und noch immer fliegt der Ball viel zu oft nicht geradeaus. Warum eigentlich?

Same procedure as every day

Die Praxis, die sich auf nahezu jedem Golfplatz darstellt, fundiert auf einem bewegungswissenschaftlichen Paradigma, das sich über Jahrzehnte in unser Gehirn eingebrannt hat: Verbesserung durch Wiederholung. Es wurde uns eingetrichtert, wir haben es nie hinterfragt: Willst du etwas besser können, dann mache es immer und immer wieder und versuche deinem Leitbild näher zu kommen, und wenn du am nächsten Tag aufwachst, dann fange wieder von vorne an. Doch auch diejenigen unter Ihnen, die schon seit 20 Jahren ihren Schwung "einschleifen", können eines nicht leugnen: Jedes Mal, wenn Sie über dem Ball stehen, ist neu. Jedes Mal, wenn Sie über dem Ball stehen, ist anders.

Dr. Wolfgang Schöllhorn ist Sportwissenschaftler an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. Seit über zehn Jahren versucht er zu beweisen und zu verbreiten, was sich seiner Meinung und seinen Untersuchungen zufolge in der Trainingswissenschaft verändern muss. Sein Konzept des Differenziellen Lernens setzt genau dort an, wo die traditionelle Auffassung fast aller Amateure, der meisten leistungsorientierten Sportler und vieler Profis zementiert zu sein scheint: Weg mit der Wiederholung, weg mit dem Einschleifen einer Zielbewegung.

Differenzielles Training - die Theorie

Die perspektivischen Unterschiede zwischen Vertretern der traditionellen Methoden und des differenziellen Lernens basieren auf einer unbestrittenen Tatsache: Keine Bewegung ist exakt reproduzierbar. Das ist Fakt. Jede Bewegungswiederholung besteht gewissermaßen aus einem identischen und einem abweichenden Anteil. Die traditionelle Auffassung schreibt die Ursache motorischen Lernens dem identischen Anteil zu, das Differenzielle Lernen sieht die Grundlage für Verbesserung in den Varianzen.

Das zugrunde liegende Prinzip basiert auf der Theorie, dass Lernen immer der Übergang von einem stabilen Zustand in einen anderen stabilen Zustand ist. Während dieses Übergangs befindet sich der Lernende allerdings in einem instabilen Zustand, er ist gewissen Schwankungen unterworfen, denen sich das Gehirn anpasst und aus denen es lernt. Vergrößert man in der logischen Konsequenz die Schwankungen, verbessert man den Lernvorgang.

In etlichen Studien ist Dr. Schöllhorn dieser Theorie auf den Grund gegangen und hat den klassischen, an einem Leitbild orientierten Lernweg, mit dem Konzept des Differenziellen Lernens verglichen, mit teilweise überraschenden Ergebnissen: Die Resultate bei einer Studie zum Kugelstoßen ließen den Schluss zu, dass nicht nur während der Trainingsphasen besser gelernt wird, sondern nach der Trainingsphase weiter gelernt wird, obwohl gar kein Training mehr stattfindet. Die Wissenschaftler führen diesen Vorgang darauf zurück, dass das Gehirn sich trotz Beendigung des Trainings weiter mit der Findung einer optimalen Lösung auseinandersetzt.

Transfer in die Golfpraxis

Überträgt man diesen Ansatz auf den Golfsport, so ist die gängige Praxis des Golftrainings auf allen Niveau-Stufen in Frage zu stellen. Das monotone "Bälle kloppen" langweilt unser Gehirn, anstatt es anzuregen, egal ob man als Hobby-Amateur, leistungsorientierter Spieler oder Profi zwei Stunden lang auf die kleine weiße Kugel einprügelt. Unbewusst oder bewusst streuen die meisten schon Varianzen ein: Der Schläger wird gewechselt, der Griff wird leicht verändert, das Ziel. Doch im Verständnis des Differenziellen Trainings ist das bei weitem zu wenig.

Bleibt man dem Konzept konsequent treu, dann machen Sie nicht nur während einer Trainingseinheit kein einziges Mal den gleichen Schlag - wir haben ja sowieso erfahren, dass das nicht geht - Sie versuchen es erst gar nicht. Ganz im Gegenteil: Bei jedem einzelnen Schlag ändern sie etwas, manchmal etwas grundlegendes, manchmal eine Kleinigkeit. Zuerst schlagen Sie mit nur einem Arm. Dann schließen Sie beim Schlag die Augen. Beim nächsten Schlag gehen sie in die Knie. Anschließend versuchen Sie den Ball rückwärts durch die Beine zu schlagen. In der Urform des Differenziellen Trainings ist das alles nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Eine gemäßigte Variante wäre, immer Blöcke von drei bis fünf Schlägen zu spielen.

Differenzielles Training für jedermann

Ein neues Buch, das bisher einzige, dass sich dem Konzept im Golf widmet, heißt "Differenzielles Lernen im Golf", geschrieben von Günther Blumhoff und Hans-Christian Vernekohlist, erschienen 2014. Oliver Heuler, der ehemalige Nationaltrainer des Deutschen Golf Verbandes, rezensiert es in diesem kürzlich veröffentlichten Video und erklärt die Grundlagen des Differenziellen Lernens bezogen auf den Golfsport ausführlich und einfach. Ein gelungener "Versuch der differenzierten Analyse".

Der goldene Weg der Mitte

Logischerweise ist das Konzept des Differenziellen Lernens nicht kritiklos von der Wissenschaftswelt aufgenommen worden. Bezüglich einiger Aspekte melden andere Forscher, allen voran Stefan Künzell und Ernst-Joachim Hossner, bedeutsame Zweifel an. Maßgebliche Aussagen seien in Teilen nicht wissenschaftlich fundiert, die abgeleiteten Konsequenzen für die Praxis hypothetischer Natur und die Abgrenzung zu anderen Theorien des Lernens nicht gegeben, also das Konzept sei nicht neu, sondern habe von Schöllhorn nur ein neues Namesschild verpasst bekommen. 

Alles in allem ist dieser Ansatz ein sehr junger, den es wissenschaftlich-empirisch noch in weiten Teilen zu prüfen gilt. Und könnte man nicht auch fragen, warum es denn das eine oder das andere sein muss? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit, wie so oft, in der Mitte, und anstatt einen unproduktiven Dualismus zu fördern, sollten Wissenschaftler und Lehrer auch die Möglichkeit einer kombinierten Methodik in Betracht ziehen - wie auch jeder Golfer für sich selbst.


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